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Kinder Des Nebels

Kinder Des Nebels

Titel: Kinder Des Nebels
Autoren: Brandon Sanderson
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Schneeflocken auf die dunkle Stadt Luthadel herab. Sie trieben in die Ecken, wirbelten in den Brisen umher und stoben in winzigen Windhosen über die Pflastersteine. Sie schienen so unbekümmert zu sein. Wie es wohl wäre, genauso zu sein?
    Vin saß still in einem der Wachtlöcher der Mannschaft - in einem verborgenen Alkoven, der in die Ziegelwand des geheimen Unterschlupfs eingelassen war. Ihretwegen konnte gern ein Mitglied der Bande die Straße nach Anzeichen für Gefahr absuchen. Vin war nicht im Dienst; das Wachtloch war lediglich einer der wenigen Orte, an denen sie Einsamkeit finden konnte.
    Vin liebte die Einsamkeit.
Wenn du allein bist, kann dich niemand betrügen.
Das waren Reens Worte gewesen. Ihr Bruder hatte ihr viele Dinge beigebracht und diese stets dadurch Untermauert, dass er genau das getan hatte, was er ihr immer vorhergesagt hatte: Er hatte sie betrogen.
Das ist die einzige Möglichkeit, wie du es lernen kannst. Jeder wird dich betrügen, Vin. Jeder.
    Die Asche fiel weiterhin. Manchmal stellte Vin sich vor, sie selbst wäre wie die Asche oder der Wind oder der Nebel. Wie etwas ohne Gedanken, das einfach nur
existierte,
das nicht nachdachte, sich nicht sorgte und nicht verletzt wurde. Dann wäre sie ... frei.
    Aus der Nähe hörte sie ein Schlurfen. Kurz darauf klappte die verborgene Tür in der hinteren Wand der kleinen Kammer auf.
    »Vin!«, sagte Ulef, während er den Kopf in den Raum steckte. »Hier bist du! Camon sucht dich schon seit einer halben Stunde.«
    Genau das ist der Grund, warum ich mich hier versteckt habe.
»Du solltest dich auf den Weg machen«, sagte Ulef. »Es geht gleich los.«
    Ulef war ein schlaksiger Junge, ganz nett auf seine Art, ziemlich naiv, falls man jemanden, der in der Unterwelt aufgewachsen war, wirklich jemals naiv nennen konnte. Das bedeutete natürlich nicht, dass er sie nicht betrügen, verraten und hintergehen würde. Verrat hatte nichts mit Freundschaft zu tun; er war nur eine Frage des Überlebens. Das Leben auf der Straße war hart, und wenn ein Skaa-Häuptling sich davor schützen wollte, erwischt und hingerichtet zu werden, dann musste er praktisch denken.
    Und Unbarmherzigkeit war das praktischste aller Gefühle. Auch das hatte Reen gesagt.
    »Also?«, fragte Ulef. »Kommst du jetzt? Camon ist schon ziemlich wütend.«
    Wann ist er das nicht?
Vin nickte jedoch und kletterte aus dem engen, aber tröstlichen Wachtloch. Sie drückte sich an Ulef vorbei, sprang durch die verborgene Tür in einen Korridor und eilte dann durch einen heruntergekommenen Vorratsraum. Er war einer von vielen an der Hinterseite des Ladens, der als Fassade und Schutz diente. Der eigentliche Unterschlupf der Mannschaft befand sich in einer Felshöhle unter dem Gebäude.
    Sie verließ den Laden durch eine Hintertür, während Ulef ihr folgte. Sie hatte ein paar Häuserblocks entfernt zu tun, in einem reicheren Viertel der Stadt. Vor ihr lag eine schwierige Aufgabe - eine der schwierigsten, die Vin je zu bewältigen gehabt hatte. Falls Camon nicht erwischt wurde, würde eine Menge für sie dabei herausspringen. Falls doch ... nun, Adlige und Obligatoren auszunehmen, war immer ein gefährliches Geschäft, aber sicherlich war es besser, als in einer der Schmieden oder in den Hüttenwerken zu arbeiten.
    Vin trat aus der Gasse in eine dunkle, von Wohnhäusern gesäumte Straße in einem der vielen Skaa-Armutsquartiere, die es in dieser Stadt gab. Skaa, die zu krank zum Arbeiten waren, lagen in den Ecken und Gossen; Asche trieb um sie herum. Vin hielt den Kopf gesenkt und zog sich gegen die noch immer fallenden Flocken die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf.
    Frei. Nein, ich werde niemals frei sein. Dafür hat Reen gesorgt, bevor er gegangen ist.
    *
    »Da bist du ja endlich!« Camon hob einen fetten Finger und zeigte damit auf Vins Gesicht. »Wo hast du gesteckt?«
    Vin ließ es nicht zu, dass sich Hass oder Auflehnung in ihren Augen zeigten. Sie schaute einfach nur nach unten und entsprach somit Camons Erwartungen. Es gab andere Möglichkeiten, Stärke zu zeigen. Diese Lektion hatte sie allein gelernt.
    Camon brummelte leise, hob dann die Hand und versetzte ihr eine heftige Ohrfeige. Die Macht des Schlages warf Vin gegen die Wand, und ihre Wange brannte vor Schmerz. Sie sackte vor der Holzwand zusammen, ertrug die Bestrafung aber schweigend. Noch ein Bluterguss. Sie war stark genug, damit umgehen zu können. Das war ihr schon oft gelungen.
    »Hör mir zu«, zischte Camon. »Das hier ist
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