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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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verwundet worden, hatte es schließlich doch hierher geschafft, um zwar zu genesen, zugleich aber zu erfahren, dass die Äbtissin Gisla nicht nur seine Mutter war, sondern Tochter des Karolingerkönigs Karl. Und, was noch schlimmer war, dass sein leiblicher Vater ein Nordmann war, der seine Mutter einst geschändet hatte.
    »Vielleicht hat Ludwig auch diese Truppe geschickt …«, brachte die Äbtissin keuchend hervor.
    Ludwig war der Sohn von König Karl, Gislas Halbbruder und seit kurzem Frankenkönig. Er war also Arvids Onkel, und er sah eine Bedrohung in Arvid. Auch wenn von einem zukünftigen Mönch keine Machtgelüste zu erwarten waren – als Sohn einer fränkischen Prinzessin und eines Nordmannes könnte er Ansprüche auf die Normandie erheben, eine Grafschaft, nach der es Ludwig selbst gelüstete, war sie doch erst wenige Jahrzehnte zuvor an die Scharen aus dem Norden gefallen.
    »Nun geh endlich!«
    Arvid brachte es nicht über sich, ihre Hand loszulassen. »Ich kann dich nicht allein sterben lassen.«
    »Ich bin zeit meines Lebens so oft allein gewesen. Und Mathilda … kümmere dich um Mathilda.«
    Arvid blickte hoch. Mathilda war in der Mitte des Hofs zusammengebrochen und weinte. Auch ihm stiegen Tränen in die Augen, doch ehe sie seinen Blick verschleierten, sah er ein Schwert dort liegen, das einem der Angreifer gehört haben musste. Nie hatte er eine solche Waffe gehalten, nie hatte er gewünscht, es zu tun. Doch nun wurde er vom Zorn gepackt, hätte am liebsten das Schwert erhoben, hätte gekämpft, blutige Wunden geschlagen und zerstört. Vor allem hätte er es gern gegen den Tod erhoben, der nach seiner Mutter gierte, schwarz und kalt. Oh, er wollte ihn zerstückeln, er wollte auf ihn einschlagen, bis die Flamme seines Zornes das Schwarz verzehrte und die Kälte unter den Schlägen glühte. Ja, sein Zorn war rot und heiß. Sein Zorn war der gleiche, der in seinem heidnischen Vater gewütet haben musste. Von wem sonst hätte er ihn geerbt, gewiss nicht von der zarten Gisla, aus der das Leben schwand. Dieser Zorn war wild, heidnisch, gottlos. Und entsetzte ihn zutiefst.
    »Nun flieh endlich!«
    Die Äbtissin hob die Hand und schlug ein Kreuzzeichen, um ihn zu segnen. Ihre Augen schlossen sich, vielleicht vor Schwäche, vielleicht weil sie wusste, dass er ihre Hand nicht loslassen und nicht gehen konnte, solange sie ihn ansah.
    So aber erhob er sich, trat zu Mathilda und half ihr hoch.
    »Wir müssen fort von hier.«
    Schwarze Vögel kreisten über ihnen, als sie verstört zur Pforte stolperten und sich auf den Weg machten.
    Das Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen, als Arvid Mathilda immer tiefer in den Wald trieb. Um das Kloster herum stand er licht, nach einer Weile wurde er immer dunkler. Die Blätter der Bäume waren fahl, doch das ängstigte ihn nicht. Als Hohn wäre ihm erschienen, wenn die Welt mit Farben geprahlt hätte. Dass sie stattdessen verblasst waren, war an einem Tag wie diesem nur gerecht.
    Rot, tiefrot war einzig seine Erinnerung an das viele Blut. Auch Mathilda war blutbefleckt – ihre Hände als auch ihr Kleid. Erst jetzt, da sie kurz stehen blieben und sie an sich herabstarrte, bemerkte sie es, und voller Ekel begann sie, an ihrer Kutte zu zerren, um sie sich vom Leib zu reißen.
    »Nicht!«, schrie Arvid. »Wir haben nur mehr das, was wir am Leib tragen. Wir dürfen es nicht auch noch verlieren.«
    Sie hielt inne, aber Panik stand ihr im Gesicht geschrieben.
    Mathilda zu beschwichtigen half ihm, selbst ruhig zu werden. »Denk nicht an das Blut, das an dir haftet, denk nicht an die Toten!« Er atmete tief durch und sah, dass auch sie es endlich tat. »Sie waren hinter mir her«, sagte er schließlich, »aber wir sind ihnen entkommen. Wir leben noch.«
    »Die Sprache«, stammelte sie, »welche Sprache haben sie gesprochen?«
    »Ich glaube … Bretonisch.«
    »Aber das ist unmöglich!«, stieß sie aus.
    Arvid war nicht sicher, was sie meinte – doch dass sie die Worte klar aussprechen konnte, anstatt nur wie besinnungslos zu schreien, genügte fürs Erste. Genügte, ihm zu versichern, dass sie nicht gleich zusammenbrach. Genügte, um dann einen Moment zu verharren, sich hinzuhocken und an den feuchten Blättern die Hände abzuwischen.
    »Ich habe sie verstanden«, keuchte Mathilda, als sie sich wieder erhoben, und ihre Panik wich Verwirrung. »Ich habe verstanden, was sie gerufen haben. ›Findet sie!‹ Ja, das war es, was sie riefen. Warum verstehe ich die bretonische
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