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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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ihren Füßen vibrierte, löste er sich aus der Starre und zerrte Mathilda ins Dickicht. Blätter klatschten ihnen ins Gesicht, dornige Ranken blieben am rauen Stoff der Kutte hängen, aber das Moos dämpfte ihre Schritte, und die dichten Sträucher schlossen sie ins Dunkel ein, als wäre es Abend. Bald sahen sie kaum mehr die eigene Hand vorm Gesicht.
    Und das ließ hoffen, dass auch sie nicht gesehen wurden.
    Hasculf war kalt vor Wut. Die Wut galt seinen Männern, aber auch sich selbst. Das Töten hatte sie blind gemacht, ganz und gar hatten sie sich der Gier nach fremdem Blut überlassen, danach, alles zu zerstören, was Leben verhieß. Und er hatte es verstanden. Auch er war tief befriedigt gewesen, endlich nicht länger warten zu müssen, sich nicht länger hinter dem Wall an der Küste zu verstecken, stets abzuwägen, welcher Schritt als Nächstes ratsam wäre und welcher nicht. Nein, er konnte etwas tun – und sei es nur, Zerstörung zu bringen. Und so war es geschehen, dass er sich wie seine Männer von jenem roten Dunst aus Schweiß und Blut den Verstand hatte vernebeln lassen, sich jenem Takt einer schaurigen Musik aus Ächzen, Klirren und Schreien unterworfen und sich kurz an der Wärme erfreut hatte, die, von der Erregung erzeugt, seinen Körper ganz und gar durchdrang.
    Doch jetzt war das fremde Blut erkaltet, die Welt noch die alte, und sein Verstand nicht länger betäubt genug, um sich der Einsicht zu verwehren: Mit dem Töten allein war sein Ziel nicht erreicht.
    »Fast alle Nonnen sind tot«, rief er, »aber wo … sie ist, wissen wir nicht. Ihr hättet sie nicht entkommen lassen dürfen!«
    »Vielleicht ist sie gar nicht entkommen. Vielleicht versteckt sie sich noch im Kloster, und du hast es nur nicht gründlich genug durchsucht.«
    Hasculf kniff die Lippen zusammen. Seine Männer mussten ihm die Scham über die eigene Schwäche ansehen, um ihn so zu kritisieren. Nie hätten sie es gewagt, wenn er nicht selbst an sich gezweifelt hätte. Hatte er wirklich überall im Kloster gründlich Ausschau gehalten? Oder hatte er verfrüht sein Pferd und seine Truppe in den Wald gedrängt, um dort nach ihr zu suchen?
    Er überlegte, ob er den Befehl geben sollte, umzukehren, doch während er noch zögerte, fiel sein Blick auf den Boden … auf etwas, was sein Gemüt augenblicklich aufhellte.
    Er sprang vom Pferd und bückte sich, verwundert darüber, dass seine Glieder nicht länger steif waren von der Anstrengung zu töten.
    »Was ist das?«, fragte einer der Männer.
    Hasculf lächelte. »Das sind Spuren … und sie stammen nicht von Tieren.«
    »Dann ist Mathilda tatsächlich in den Wald geflohen?«
    »Nicht nur Mathilda – sie scheinen zu zweit zu sein. Und so groß wie die Abdrücke der Schuhe sind, ist dieser Zweite ein Mann.«
    Als er den Blick hob, erwiderten die anderen sein Lächeln. Ein einzelner Mann würde keine Chance gegen sie haben. Und ein unerfahrenes junges Mädchen würde sich nicht lange vor ihnen im Wald verstecken können.
    Hasculf war nicht länger kalt.
    Arvid wusste: Wer im Wald überleben wollte, durfte nicht in die weite Ferne blicken, sondern musste sich auf den nächsten Schritt konzentrieren. Er unterdrückte den Gedanken an die Hoffnung, irgendwann wieder in einem friedlichen Kloster zum Gleichmaß der Tage zurückzufinden, und beschloss, sich stattdessen kleine Ziele zu setzen.
    Das erste war, die Verfolger abzuschütteln, und das bedeutete, immer weiter ins Dickicht vorzudringen. Bald waren ihre Gesichter und Hände voller Kratzer, sie waren müde, aber es war kein Pferdegetrappel mehr zu hören. Das zweite Ziel war, die Kälte bis zum nächsten Tag zu überstehen – sie froren erbärmlich.
    Arvid blieb abrupt stehen, sodass Mathilda, die er an der Hand mit sich gezerrt hatte, in ihn hineinlief. Er fühlte, wie sich ihr Körper kurz an seinen Rücken presste, und auch, wie sie dann zurückzuckte.
    »Wir müssen überlegen, wie wir an Essen kommen.«
    Sie blickte sich zweifelnd um. »Hier?«
    »Meine Ziehmutter … sie hieß Runa … sie kam aus dem Norden, sie hat gewusst, wie man im Wald überlebt.«
    In den letzten Tagen hatte er oft an seine Ziehmutter gedacht, der Gisla ihr Kind als Säugling anvertraut hatte. Runa war einst Gislas enge Gefährtin gewesen, und Arvid hatte seiner leiblichen Mutter alles über ihre letzten Lebensjahre erzählt: Dass sie mit viel Geschicklichkeit und Durchhaltevermögen um ihr eigenes Überleben und das des Ziehsohnes gekämpft hatte,
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