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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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kam ihm nicht als bösartige Einflüsterung des Teufels vor. Jetzt bedeutete, über die Farbe ihres Haars nachzudenken, nicht länger das Knistern der Flammen und Nonnen sterben zu hören.
    Sie hockten Leib an Leib. Sie hielten sich an den Händen. Sie atmeten im Gleichtakt. Irgendwann war nichts anderes mehr zu hören als ihr Keuchen. Kein Knistern, kein Geschrei, kein Waffenlärm. So plötzlich wie die Hölle sich geöffnet hatte, schlossen sich ihre Tore wieder.
    Arvid wartete noch eine Weile, denn er befürchtete eine List der Angreifer, aber die Stille wurde schließlich erdrückend wie das Stroh. Er stieß einen Ballen fort und schnappte so gierig nach frischer Luft, als hätte er nicht unter Stroh gelegen, sondern in tiefem, kaltem Wasser.
    Ihn schwindelte, als er sich aufrichtete. Erst jetzt wurde er gewahr, dass sie nicht nur wenige Augenblicke hier gelegen hatten, sondern Stunden. Ja, stundenlang hatte er ihre Hand umkrampft gehalten. Als er sie losließ, rieb Mathilda sie und starrte darauf, als gehörte sie nicht länger zu ihrem Körper.
    Sein eigener Körper fühlte sich nicht minder fremd an. Er konnte aufstehen, spürte Blut in seinen Füßen kribbeln, konnte gehen, sich umschauen – und war doch merkwürdig weggetreten, als würde ein Teil von ihm unter dem Stroh liegen bleiben, während der andere vorsichtig zum Tor der Vorratskammer trat, nach draußen lugte, Rauchschwaden sah, aber kein loderndes Feuer, viele Tote, aber keine Lebenden. Ihr Anblick war grässlich – und zugleich eine Erleichterung, verhieß er doch, dass da niemand mehr war, der ihn mit dem Schwert niederstrecken konnte, das Feuer erneut entzünden, mit Fäusten auf ihn eindreschen.
    Mathilda war ihm gefolgt und schrie nun auf, ein kläglicher Laut, der mehr an eine Katze erinnerte als einen Menschen. Während er noch starr verharrte, stürzte sie hinaus zu den Toten.
    »Schwester Magistra, Schwester Portaria, Schwester Cellerarin!«
    Ihre Schreie wurden lauter, die Ohren der Toten jedoch blieben taub. Es waren so viele – junge und alte, gleichmütige und verschrobene, freundliche und ernste, geschwätzige und verschwiegene. Im Leben hatten sie sich unterschieden, im Tod waren sie alle vom gleichen Blut befleckt.
    »Maura«, stieß Mathilda aus, »Maura ist nicht dabei, vielleicht konnte sie fliehen.«
    »Wer ist Maura?«, fragte Arvid verständnislos.
    »Sie schlief im Dormitorium stets neben mir, sie ist meine … Freundin.«
    Nur zögerlich sprach sie dieses Wort aus. Im Kloster, so belehrten die Oberen junge Schwestern oft, sollte man keine Freunde haben und niemanden bevorzugen. Sie alle waren Brüder und Schwester im Herrn und somit alle gleich. Über das Refektorium betraten sie den Hof und stießen auf weitere Tote.
    »Ich kann Maura immer noch nicht sehen, sie muss tatsächlich …«
    Arvid war auf einmal taub für ihre Worte. Eine der Ordensschwestern, die dort lag, regte sich noch. Der Schleier war ihr vom Kopf gerutscht, das Haar darunter schütter und weiß. Eben noch hatte er Mühe gehabt, sich zu bewegen, als gehörten Kopf und Glieder nicht zusammen. Nun stürzte er zu der Nonne, ging in die Knie und ergriff ihre Hand so fest, wie er zuvor Mathildas gehalten hatte. Erfreut stellte er fest, dass sie noch warm war, um dann zu erkennen, dass sie mit jedem Atemzug kälter zu werden schien.
    »Mutter …«, stammelte er, »Mutter …«
    Nie hätte er sie so genannt, wenn er sicher gewesen wäre, dass sie weiterleben würde. Doch im Augenblick ihres Todes gingen die Worte ihm leicht von den Lippen. Und der Tod würde kommen – das sah er an ihrer gelblichen Haut, dem schmerverzogenen Mund, den eingefallenen Wangen. Sie öffnete die Augen und richtete nun voller Liebe den Blick auf ihn.
    »Du lebst«, murmelte die Äbtissin von Saint-Ambrose erleichtert. »O Arvid, du musst fliehen! Diese Männer, sie waren doch hinter dir her, nicht wahr?« Sie begann erstaunlich klar zu sprechen, aber wurde mit jedem Wort schwächer.
    »Es waren keine Franken, sie sahen eher aus wie Nordmänner«, murmelte er. »Warum wollten ausgerechnet sie mich töten? Wer kann sie geschickt haben?«
    »Flieh!«, wiederholte sie.
    »Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht.«
    Er verstand so vieles nicht, was ihm in den letzten Wochen widerfahren war. Er hatte im Kloster von Jumièges gelebt, friedlich wie Mathilda in ihrem, als plötzlich Männer dort aufgetaucht und nach seinem Leben getrachtet hatten. Er war geflohen, eingeholt und
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