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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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sich eine Tonsur schor. Als er verletzt vor der Pforte zusammengebrochen war, hatte ihn diese als Mönch oder Novizen ausgewiesen. Mittlerweile war das braune dichte Haar nachgewachsen, und dass er es schor, bedeutete wohl, dass er möglichst bald in sein Kloster zurückkehren wollte.
    Er blickte hoch, als sie näher kam, und sie schämte sich, dass sie errötete. Er ist ein Mann, gewiss, aber eben ein Mann Gottes, sagte sie sich. Solchen begegnete sie manchmal in Gestalt der Mönche vom Nachbarkloster, die kamen, um die Messe zu lesen, die Beichte abzunehmen und die Sterbenden zu segnen.
    Mit vermeintlicher Gelassenheit hob sie ihm das Brett mit Brot und Käse entgegen. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht.« Anstalten, es auf den Tisch zu stellen, machte sie keine.
    Arvids Tonsur war schief geraten, das Lächeln, um das er sich nun bemühte, auch. Er schien sie nicht minder zu scheuen als sie ihn, doch anders als sie hatte er den Mut, das Unbehagen auszusprechen.
    »Nicht mehr lange, und ihr seid von meiner Gegenwart befreit«, setzte er an, »und hier kehrt wieder Ruhe ein.«
    Es war etwas anderes, dies heimlich zu hoffen, als es ihn sagen zu hören. Ihre Scheu vor ihm deutete Mathilda plötzlich als Zeichen von Schwäche. Wer fest im Glauben stand und den Anfechtungen des Fleisches widerstand, ließ sich von der Gegenwart eines Mannes nicht erschüttern.
    »Wer an der Pforte klopft, dem wird aufgetan«, erklärte sie schnell, »wie lange er bleibt, liegt nicht an uns zu bestimmen.« Um ihre Worte zu bekräftigen fügte sie hinzu: »Vor zwei Jahren hat die Äbtissin eine Horde Bettler ins Kloster eingeladen, auf dass wir ihnen am Gründonnerstag die Füße waschen – so wie Jesus seinen Jüngern.«
    Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie daran dachte. Sie hatte sich vor den fremden fauligen Füßen geekelt und noch mehr vor den Gerüchen, dem Stimmengewirr, den verunstalteten Gesichtern – vernarbt bei den einen, faltig bei den anderen, in jedem Fall von einem ständigen Überlebenskampf kündend, den hier Kloster keiner zu führen hatte. Selbstverständlich hatte sie aber der Äbtissin gehorcht und den Widerwillen unterdrückt.
    Käse und Brot wurden ihr mit einem Mal schwer in der Hand. Das Brett auf den Tisch zu stellen hätte aber bedeutet, dicht an Arvid vorbeizugehen. So stellte sie es auf den lehmgestampften Boden.
    »Die Schwester Cellerarin meinte, dass du zum Abendessen auch einen Krug Wein haben kannst.«
    Arvid senkte den Blick. »Habt alle Dank für eure Güte.«
    Es gab nun keinen Grund mehr zu bleiben, aber dennoch verharrte Mathilda noch einen Augenblick. Sie dachte an die vielen Tuscheleien der letzten Tage. Fast alle Nonnen hatten Mutmaßungen über den jungen Mann angestellt – und Maura hatte gewagt, ihr vom schlimmsten und dunkelsten Gerücht zu erzählen, das die Runde machte: Demnach war Arvid niemand anderes als der Sohn der Äbtissin. Kurz nach seiner Geburt war sie ins Kloster eingetreten, um fortan ein frommes Leben zu führen, aber davor hatte sie gesündigt, wenn auch nur einmal. Nicht nur, dass Arvid der Sohn der Äbtissin war, war ein Geheimnis, sondern auch, als wessen Tochter diese geboren worden war. Nicht irgendeines Franken nämlich …
    Nein, sie wollte es nicht einmal denken. So beharrlich sie ihren Traum vergessen und der Frage entgehen wollte, wer sie war und von wem sie abstammte, sollte sie sich auch seiner Herkunft gegenüber blind stellen. Doch als Mathilda sich aufraffte zu gehen, begann der junge Mann unvermittelt zu sprechen, anstatt sich nach Käse und Brot zu bücken.
    »Ich weiß, dass über mich geredet wird. Und ich weiß auch, wie sehr euch meine Geschichte verwirren muss. Ich erfuhr ja selbst erst hier, dass …« Er brach ab, rang nach Worten. »Es ist schwierig«, gab er schließlich zu. »Es ist schwierig, wenn man nicht weiß, auf welcher Seite man steht …«
    Sie verharrte, von etwas gehalten, das sie nicht deuten konnte. War es Neugier – ein Laster dieses, jedoch kein sonderlich schweres? War es Unbehagen, das leichter zu ertragen sein würde, wenn sie seine Andeutungen verstehen könnte? Oder war es womöglich etwas, das schwerer wog?
    »Ich weiß, dass ihr Nonnen nichts auf Geschwätz geben dürft«, murmelte er, »aber gewiss habt ihr darüber geredet. Wie ich zur Äbtissin stehe. Ob sie tatsächlich meine Mutter ist. Und ob ich tatsächlich der Sohn eines Nordmannes bin.«
    Es war zu viel – für ihn, all das zu verschweigen, für sie, es
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