Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind des Grals

Kind des Grals

Titel: Kind des Grals
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
seit ihm befohlen worden war, sich hinzusetzen. Seine Augen standen weit offen. Kein Wimpernschlag verriet das Leben, das noch in ihm steckte.
    Rahel hatte sich auf ihre Ellbogen gestützt. Und ab und zu schloß sie die Augen. Weil sie den Anblick nicht mehr ertrug.
    Schlaf fand sie nicht. Es war hellichter Tag, aber schwere Vorhänge dämpften die Helligkeit.
    Es war ihr Zuhause. Hier waren sie geboren worden und aufgewachsen.
    Nie hatten sie Gewalt am eigenen Leib erfahren. Nie hatten sie unter solchen Ängsten leiden müssen wie jetzt. »Daheim« war zu einem kalten, schrecklichen Ort verkommen, der nie mehr ihr Zuhause sein würde .
    »Da-vid .«
    Rahels Lippen waren wie taub. Daß in ihren Eingeweiden der Hunger rumorte, ignorierte sie. Sie wollte nichts essen. Sie wollte nicht einmal an Essen denken. Nur einfach liegenbleiben, wo sie lag - obwohl die Nähe ihres Bruders zunehmend unerträglicher für sie wurde. Sein stummes Starren. Sein unhörbarer Atem.
    Was haben sie ihm angetan?
    Er dämmerte in tiefer Hypnose dahin. Der Blick seiner Augen war trüb.
    Sie werden ihm ausdörren, dachte Rahel. Sie werden ihm elend vertrocknen.
    Aus Jux hatte sie einmal versucht, so lange wie möglich nicht zu blinzeln. Schon nach kurzer Zeit hatte sie es nicht mehr ertragen, hatte jeden noch so schwachen Luftzug im Raum als schmerzhaften Nadelstich empfunden .
    Sie schluckte. Sie hatte Mitleid mit ihrem Bruder. Und manchmal glaubte sie, dieselbe Regung in seinen Augen lesen zu können. Manchmal .
    Sie fühlte sich wie zerschlagen, saft- und kraftlos. Die Schwerkraft zerrte an ihr. Eine Kraft, die ihr niemals als solche bewußt geworden war, bevor sie Vater und Mutter mit gebrochenen Hälsen zwischen Schutt und Dreck hatte liegen sehen. Aber dieser Anblick, dieses Bild, das sich tief in ihre Seele eingebrannt hatte, war unvergeßlich, und es höhlte sie aus. Ganz allmählich, schleichend, aber unerbittlich.
    Was haben sie vor? Was wollen sie von uns? Warum verschwinden sie nicht und lassen uns laufen ...?
    Sie: ein Mann und eine Frau.
    Anders als jeder Mann und jede Frau, denen Rahel in ihrem Leben davor begegnet war!
    Sie waren da, füllten das Haus mit ihrer Präsenz aus, verpesteten und entweihten es!
    Rahel empfand die Frau nur unwesentlich erträglicher als den Unheimlichen an ihrer Seite. Sie hatten beide etwas Monströses. Etwas Abscheu und Ekel weckendes .
    Es kostete sie große Überwindung, aufzustehen und zu der Tür zu laufen, hinter der das seltsame Paar verschwunden war.
    Rahel blickte zu ihrem Bruder zurück, dessen Augen ihr nicht folgten. Sein Blick war immer noch auf die Stelle des Bodens geheftet, wo sie gerade noch gelegen hatte.
    Sie widerstand der Versuchung, zu ihm zu treten und ihn zu berühren. Die Hand an seinen Hals oder auf seine Brust zu pressen und sich vom Pochen seines Herzens beruhigen zu lassen, daß er noch lebte.
    Sie wußte nicht, ob es wirklich Leben war. Sie war sich nicht sicher.
    Sie fühlte sich allein und verlassen. Und ausgeliefert. Denen, die dort drinnen waren, in einem Raum ohne Fenster, einer . Abstellkammer.
    Rahel fragte sich, was sie ausgerechnet dort suchten. Und woher sie die Überzeugung nahmen, daß nicht wenigstens Rahel die Gelegenheit nutzen würde, um davonzulaufen.
    Sie wußte, warum sie nicht weglief. Aber es frustrierte sie, daß auch die Fremden es wußten.
    David ... Wach auf! Wach auf und lauf mit mir davon ... Ohne dich kann ich nicht fort! Sie kennen kein Erbarmen. Es wäre dein Tod!
    Sie erreichte die Tür. Dahinter war es so still, als befänden sich wirklich nur Dinge in der Kammer. Aber Rahel hatte sie hineingehen sehen. Und es gab nur diesen Weg hinein oder heraus.
    Sie legte das Ohr an das Türblatt und lauschte angestrengt. In ihren Ohren rauschte leise das Blut, und von fern, von sehr weit her schienen nun doch Stimmen zu wehen, deren Worte sie nicht verstand.
    Rahel trat einen Schritt zurück. Im Schloß der Tür steckte ein Schlüssel, der anscheinend aus Nachlässigkeit von den Fremden übersehen worden war. Sicher war sich, was das anging, Rahel jedoch nicht. Der Mann und die Frau verfügten über Kräfte, die ihre Unmenschlichkeit unterstrichen. Vielleicht war es bedeutungslos für sie, ob jemand den Schlüssel im Schloß drehte und einen Riegel vorschob oder nicht.
    Rahel zögerte. Sie hatte Angst, den wirklichen Zorn der Fremden auf sich zu ziehen. Aber der Schlüssel lockte. Er konnte der Schlüssel in die Freiheit sein. Sie mußte nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher