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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks
Autoren: Norman Spinrad
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bekamen viele Namen; die meisten herabsetzend. Ronin. Zigeuner. Freaks. Glücksritter. Landstreicher. Arkies.
    Bis zum Zweiten Raumfahrenden Zeitalter konnte diese Halbwelt nur durch das definiert werden, was sie nicht war. Eine »Kultur« bestand im Grunde aus den sozialen, politischen, wirtschaftlichen, kulinarischen, linguistischen, technischen und ästhetischen Konventionen, an denen ihre Bürger teilhaben; auf einer tieferen Ebene war es die Übereinstimmung in bezug auf die Realität, die Bewußtseinsart, die ein »Volk« definierte. Folglich war die Demimonde die psychische Heimat jener, die durch Wahl oder Zufall innerhalb der räumlichen Grenzen einer Kultur existierten, ohne jedoch mit deren Realitätsauffassung übereinzustimmen. So standen sie außerhalb von »Gesetz« und »Geschichte«.
    Hier konnten die Kriminellen und sozial Ausgestoßenen gefunden werden, die Verrückten und Abartigen, die Betreiber sozial geächteter Laster und die Anhänger von Göttern, die nicht vom jeweiligen Hauptstamm angebetet wurden. Doch hier gab es auch die Visionäre, die außerhalb ihrer eigenen Zeit geboren wurden, die Künstler, die neue Bewußtseinsebenen erschufen, die Sucher und die Träumer – im Grunde alle, deren Geist nicht von den Parametern der vereinbarten Realität ihres gegebenen sozialen Gefüges umfaßt werden konnte. Hier war die Heimat des Chaos in seiner ewigen Dialektik mit der Ordnung, des Chaos, aus dem alle neue Kultur und somit die Geschichte selbst immer wieder hervorgegangen ist. Hier war, mit anderen Worten, die innere Heimat des Abenteuergeistes der Jugend.
    Zur demimonde fühlten sich gleichermaßen die Besten und die Schlechtesten der Jugend einer Kultur hingezogen – die Träumer und die Rebellen, die Idealisten und die Psychopathen, die Künstler und die Arbeitsscheuen, die Sucher des Lasters und die Sucher der Erleuchtung.
    Einige reisten eine Weile im Reich des Chaos und tauchten wieder auf als Former und Gestalter der Geschichte. Einige durchlebten ihr Wanderjahr und wurden nur alt. Einige blieben für immer verschollen. Ein paar blieben ewig jung, bis zum Tag, an dem sie starben.
    Doch sehr viele Heranwachsende in sehr vielen Kulturen gingen nie durchs Chaos. Sie wurden geboren, wurden akkulturiert, wurden beschult, durchliefen die Stationen des Erwachsenenlebens, erlebten eine schlecht definierte Spanne der Angst im mittleren Lebensabschnitt, erklärten sich resigniert für alt und starben, ohne je einen Fuß auf die Zauberstraße gesetzt zu haben, ohne überhaupt zu verstehen, was es war, das sie in ihrem Leben verpaßt hatten.
    So blieb es ungeschrieben, bis ich begann, meine histoires zu erschaffen, und nun ist auch dies eine neue Art von Geschichte, in dem Sinne, daß es eine Geschichte der menschlichen Vergangenheit ist.
    Heute, im Zweiten Raumfahrenden Zeitalter, ist dieses alte Konzept der »Kultur« als Gefängnis des individuellen Bewußtseins selig verschieden. Denn wie jeder seinen eigenen Lingo-Dialekt spricht, so ist auch jedes menschliche Bewußtsein seine eigene, selbst erschaffene Realität, einzigartig und doch Teil der unendlich komplexen vie humaine.
    Denn jeder von uns durchlebt als Kind des Glücks ein Wanderjahr; und es ist selten, daß ein Kind unseres Zeitalters zum Mann oder zur Frau wird, ohne den Zwischenbereich erfahren zu haben.
    Was ist der größte Ruhm und die größte Errungenschaft des Zweiten Raumfahrenden Zeitalters? Der Sprungantrieb, der unsere Sprungschiffe in die Lage versetzt, die großen, leeren Räume zwischen den Sternen zu durchmessen, so daß sich unsere Art über Hunderte von Welten ausbreiten kann? Die Tatsache, daß die Menschheit endlich den Krieg und den Chauvinismus hinter sich gelassen hat? Unser umfassendes Wissen um die Zusammenhänge zwischen Masse und Energie?
    Ich behaupte, daß die größte Errungenschaft des Zweiten Raumfahrenden Zeitalters, die uns von allen früheren Zivilisationen abhebt und uns über sie stellt – nicht nur im Gegenständlichen, sondern im Bewußtsein –, die Tatsache ist, daß unsere Zivilisation als einzige die Weisheit hatte, für alle das Wanderjahr zur Pflicht zu machen. Denn es mögen zwar einige von uns Geschichten erschaffen und einige von uns Raumkapitäne oder Wissenschaftler oder politische Führer und so weiter sein, aber alle von uns waren einmal Kinder des Glücks.
    Ist denn nicht die Wahl des Eigennamens zugleich die Erklärung des kommenden Lebenswerks, und wird der Eigenname nicht am
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