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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel
Autoren: Michael Marshall
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heute entlassen werden, holt ein Kleintransporter ab. Dieser Mann dagegen wollte das echte Leben direkt hinter dem Tor beginnen. Er läuft zielstrebig zu dem wartenden Wagen hinüber und steigt ein, ohne sich noch einmal umzusehen.
    »Wohin?«, fragt der Fahrer.
    Hunter nennt eine nahe gelegene Stadt. Als der Fahrer den Motor anwirft, um ihn von diesem Ort wegzubringen, lehnt er sich zurück und starrt durch die Windschutzscheibe. Der Fahrer ist offenbar nicht darauf erpicht, eine Unterhaltung anzufangen, und ebenso wenig macht er das Radio an. Für beides ist sein Fahrgast dankbar – auch wenn er es nicht nötig hat, seine nächsten Schritte oder die Frage, wie er diesen ersten Tag verbringen wird, noch einmal im Geist durchzuspielen. Das hat er bereits getan, das wäre also erledigt. Hunter weiß, wie wichtig es ist, mit seinen Überlegungen und Bestrebungen nach vorn zu blicken und jedes Gestern hinter sich zu lassen. Die Vergangenheit ist nicht zu ändern. In der Gegenwart würde sie ihn höchstens zurückwerfen.
    Fast nichts von dem, was sich innerhalb der hohen Mauern abgespielt hat, die jetzt im Rückspiegel entschwinden, wird nach draußen dringen: die Prügel; die abgrundtiefe Verzweiflung in den ersten Nächten; die beiden Selbstmordversuche in den ersten Wochen; später dann die Entscheidungen, mit wem er in Beziehung treten und wie weit er sich auf die interne Knastordnung einlassen will, ohne am Ende für andere zu sitzen oder auf der schwarzen Liste irgendeiner Gang zu landen – was in einer Selbstjustiz, die keine Grenzen kennt, das sichere Todesurteil bedeutet hätte. Das war einmal und gehört dort hinein.
    Und das hier ist jetzt. Hier draußen.
    Das Einzige, was ihn noch begleitet, das Wissen, das ihn all die Jahre aufrechterhielt, das aber auch seine dunkelsten Nächte und Stunden überschattete, ist die Tatsache, dass er des Verbrechens, für das er verurteilt wurde, nicht schuldig ist. Neunzig Prozent der Männer im Gefängnis beteuern das, und so gut wie alle lügen.
    Dieser Mann dagegen nicht.
    Er war es nicht.
     
    Es gilt noch Einzelheiten zu klären – was er als Erstes essen, wo er ein paar nicht muffig riechende Kleider auftreiben und wo er die erste Nacht verbringen soll. Das Entscheidende dagegen hat er klar vor Augen.
    Er wird sich eine Waffe beschaffen.
    Und dann wird er anfangen, sie zu benutzen.

[home]
    Teil I
    Anhaltende
Vergangenheit
     
     
     
    Ich werde jeden Tag in jeder Hinsicht immer besser.
     
    Émile Coué

1
    A ls ich auf den Parkplatz am innenliegenden Kreis der Wohnanlage »The Breakers« einbog, sah ich, dass Karren White für ihren Wagen bereits den besseren der beiden Stellplätze von Shore Realty ergattert hatte – denjenigen, der nachmittags im Schatten liegt, so dass man am Ende eines langen Arbeitstages nicht das Gefühl hat, in einen Glutofen zu steigen und vor Hitze umzukommen. Sie hatte mit der ihr typischen Präzision eingeparkt, genau parallel zu den Linien am Boden, als hätte sie ihren schnittigen, kleinen BMW erst abgestellt und Hausmeister Big Walter danach beschwatzt, die weißen Striche aufzumalen – was bei ihrem Charme und ihrer Überzeugungskraft nicht völlig ausgeschlossen war. Ich begnügte mich mit der zweiten Wahl und parkte nicht weniger geschickt daneben. Ich sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Zwölf nach acht.
    Hmm.
    Ich speicherte die Zeit in einer App auf meinem iPhone ab. Ich neige nicht zu zwangsneurotischer Pünktlichkeit, um das klarzustellen. Das Protokollieren dient nur dazu, positive Gewohnheiten, reproduzierbare Verhaltensmuster zu entwickeln, die man später auf wichtigere Projekte übertragen kann. Nebenbei ging es auch darum, dass Karren den dritten Montagmorgen in Folge vor mir am Arbeitsplatz war und zweifellos glaubte, das würde etwas beweisen oder ihr auf lange Sicht Wettbewerbsvorteile bringen. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich bereits oben am St. Armands Circle ein Arbeitsfrühstück mit Kaffee und französischem Toast absolviert und dabei fünfundzwanzig Minuten lang zwanglos mit jemandem geplaudert hatte, der mir bei Gelegenheit viel Geld einbringen konnte.
    Ebenso wenig wusste sie, dass ich mich auf dem Weg von meinem Haus in Sarasota bereits mit den Branding- und Unternehmens-Podcasts vom Wochenende auf den neuesten Stand der Dinge gebracht hatte: Vom Internet aufs iPhone und von da auf die Power-Surroundanlage meines Autos, ganz nebenher bei Rot an der Ampel fünf – zu Hause entworfene – E-Mails
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