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Kill your friends

Kill your friends

Titel: Kill your friends
Autoren: John Niven
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seines Mundes in eine Zitrone beißen und mit der anderen Seifenblasen pusten. Irgendetwas Verchromtes schimmerte im Dunkeln. Ich sah zu dem Typen hoch, der ihn schob, und erkannte den Kerl, der damals bei dem Gig mit gebleckten Zähnen auf mich losgehen wollte. »Du bist doch Steven, nicht wahr?«, sagte er.
    »Ja.«
    »Er wollte dir ›Hallo‹ sagen«, nickte er zu der Missgeburt im Rollstuhl hinab.
    »Hallo, Rage«, sagte ich. Rage versuchte, etwas zu sagen, aber er brachte bloß eine schaumige Speichelblase hervor.
    »Er kann nich’ mehr so gut sprechen seit dem Unfall.«
    Ich nickte. Rage winkte mich mit einer verdrehten, lappigen Hand näher heran. »S …«, sagte er.
    Ich nickte weiter und lächelte nachsichtig, wie man es Kindern und Mongoloiden gegenüber macht. Mir dämmerte, dass Rage nicht mehr bloß im metaphorischen Sinne ein Mongo war. Er war der absolute Real-Life-Mega-Mongo.
    »S … So …«, fuhr er fort, während er eine Menge Speichel produzierte, aber langsam so etwas wie ein Wort zusammenstammelte. Jetzt bemerkte ich, dass der Rollstuhl keine dieser gepimpten Sonderanfertigungen mit Servolenkung und Alu-Legierung war. Es war ein beschissener, gewöhnlicher Kassenrolli, mit Kunstlederpolstern und zum Selbstrollen. Die Zeiten schienen hart für ihn zu sein.
    Endlich brachte er es heraus: »S … S … Song!«, stotterte er und deutete vage in die Luft hinter uns, in Richtung der dröhnenden Musik. Irgendein Drum ’n’ Bass-Schwachsinn.
    »Oh ja!«, sagte ich und zeigte mit dem Daumen nach oben. »Klasse Song.«
    Der Aufpasser oder Pfleger oder was auch immer beugte sich zu Rage herunter und tat zwei Dinge: Erst wischte er Rage den Sabber (eine ansehnliche Menge) von Mund und Kinn, dann hielt er ihm einen Daumennagel voller Koks unter die flatternden Nüstern. Aber Rage konnte es nicht inhalieren – möglicherweise aufgrund des Verlustes seiner motorischen Fähigkeiten –, also rieb der Typ es ihm einfach über die Chrom- und Goldzähne ins Zahnfleisch. Die Zähne waren nur noch ein Relikt, eine blasse Erinnerung an das, was Rage einmal gewesen war.
    Der Aufpasser blickte sich kurz auf der übervollen Tanzfläche um und hielt mir dann seinen schmuddeligen Daumen entgegen. »Näschen?«
    »Nein, danke. Ich bin versorgt.«
    Er zog es selbst weg, und wir standen einen Moment da, nickten mit dem Kopf im Takt der Musik, während ich mich fragte, wie schnell ich mich wohl verpissen konnte. Dann nahmen wir beide plötzlich einen fürchterlichen Gestank wahr. Wir senkten unseren Blick. Rage krümmte sich, schlug mit Armen und Beinen aus und zuckte wie wild mit dem Kopf, »’dammte Scheiße. Sorry, Alter. Passiert manchmal.«
    Ich gab die einzig mögliche Antwort. Ich nickte verständnisvoll.
    »Weißt du vielleicht, wo das Scheißhaus ist?« Ich wusste es nicht, aber ich zeigte einfach irgendwohin. Hauptsache weg von mir.
    Sie zogen ab. Ich blickte ihnen hinterher und fragte mich, ob der Aufpasser wohl einfach nur ein Kumpel war, oder ob er auf der Gehaltsliste stand. Und wenn, wie viel bekommt er? Was ist der gängige Kurs dafür, den Dreck aus der vollgeschissenen Hose eines ehemaligen »Drum & Bass-Superstars« zu kratzen? Was soll’s, immerhin ist er so aus dem Verkehr gezogen.
    Rage hingegen ist im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Verkehr gezogen. Die dumme Drecksau sitzt in einem verfickten Rollstuhl.
    Ich fand Trellick in einem der kleineren Räume – mit nacktem Oberkörper wie irre auf ein Technostück abzappelnd. Ich brüllte ihm ins Ohr: »Haben wir Rage eigentlich schon gefeuert?«
    Ich musste es ein paarmal wiederholen. Er schüttelte den Kopf. »Dann lass es«, sagte ich.
    »Lass was?«
    »Setz. Rage. Noch. Nicht. Vor. Die. Tür. Ich hab ’ne Idee.«
    ***
     
    Im Hintergrund ertönt sanft die Titelmusik von Friends. »I’ll be there for you …«
    Ich gehe zum Couchtisch, fülle frisches Eis in mein Glas und höre zu, wie es splittert, als der bernsteinfarbene Glenmorangie darüberläuft. Ich gehe zurück ans Fenster, nippe an meinem Drink und stütze meine rechte Hand gegen die Fensterscheibe.
    Es ist kalt dort draußen.
    Im Grunde genommen mag ich Weihnachten nicht. Es erinnert mich an meine Kindheit, an mich und meine Mutter, wie wir die Geschenke austauschen. Ich überreiche ihr die übliche Schachtel Badesalz und sie mir im Gegenzug den Umschlag mit dem Geld.
    Dieses Jahr ist es ein wenig anders. Dieses Jahr kümmern mich die halbherzigen Dekorationsversuche im Büro, das
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