Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser
Autoren: Reinhard Pelte
Vom Netzwerk:
Straße in Richtung Ulstrup/Bockholm verlassen, und nachdem er die sanfte Kuppe der letzten Moräne vor der Förde erklommen hatte, lag die Halbinsel Holnis vor ihm. Boll hatte dort in den 70er-Jahren ein altes Siedlungshaus erworben und es für sich und seine Frau hergerichtet. Die Halbinsel teilt die Innen- von der Außenförde und ist der letzte Flecken deutschen Bodens vor den dänischen Äckern, die jenseits der engen Fahrrinne zu erkennen sind. Holnis war vor einigen Jahren zum Landschaftsschutzgebiet erklärt worden. Leider einige Jahre zu spät, denn die Ufer waren schon von einer billigen Freizeit- und Ferienindustrie besetzt worden. In den letzten Jahren hatte sich die Gemeinde mit großem Aufwand um Verbesserungen bemüht, mit bescheidenem Erfolg. Zumindest durfte auf der Halbinsel zur Freude derjenigen, die dort wohnten, nicht mehr gebaut werden. So gewann Bolls Haus an Exklusivität und Wert und er selbst die Gewissheit, dass der Ausblick auf das vor seinem Haus per Durchstich von der Förde geflutete Noor nicht mehr verbaut werden konnte.
    Jung hatte während der Aufklärung des Gifttodes einer Immobilienmaklerin auf Sylt bei Boll Hilfe gesucht und gefunden. Jetzt besuchte er ihn, um von seinen Ermittlungsergebnissen zu berichten. »Wir wissen, dass zwei Frauen, deren Verschwinden ich seit Monaten aufzuklären versuchte , …« Jung erzählte ausführlich. Er war sehr genau in seiner Schilderung, auch um sich selbst noch einmal alle Fakten vor Augen zu führen. Bis heute, bis zu diesem Moment in Bolls Garten, ließ dieses Verbrechen jegliche kriminelle Logik vermissen. Die Motive für die Tat hatte Jung nicht aufdecken können. Er hatte Fakten gesammelt, die nicht anzuzweifeln waren. Sie machten ihn wissender, aber nicht schlauer.
    Jung war deswegen nicht überrascht, als Boll am Ende fragte: »Das verstehe ich nicht! Wo ist der Sinn?«
    »Gute Frage. Ich habe nur eine vage Idee.« Jung blickte sinnend an Holnis’ Kliff vorbei auf die weiter draußen liegende Innenförde. Das Wasser glitzerte schwach unter einem wolkenverhangenen Himmel. »Ich müsste den mutmaßlichen Täter befragen können. Aber der ist in Afrika. Der Chef hat den Fall nach Kiel abgegeben. Offiziell bin ich aus der Sache raus.«
    Sie schwiegen und starrten in die immer dichter werdenden Wolken. Boll war kürzlich von einem mehrwöchigen Urlaub in Spanien zurückgekehrt. Es war Frühherbst und noch sehr mild. In jedem Moment drohten die ersten, winzigen Sprühregentropfen niederzuschweben. Später würden die Tropfen sich vermehren, größer und schwerer werden und schließlich in einen warmen, lang andauernden Landregen übergehen.
    Sie wechselten von den Gartenstühlen auf die bequemen Sessel in Bolls Wohnzimmer.
    »Bevor ich weiterfrage, was willst du trinken?« Boll sah Jung auffordernd an. »Ich habe vor Kurzem zwei Flaschen 89er Rauenthaler Gehrn, Spätlese, von Jupp Schell im Keller gefunden. Wenn er noch nicht umgekippt ist, dann muss er schnellstens getrunken werden. Also, was meinst du?«
    Man merkte Boll an, dass er stolz auf seinen Fund war und von Jung eine begeisterte Reaktion erwartete.
    »Probieren wir es aus. Wenn er frisch geblieben ist, dann ist er ein Juwel.«
    »Ja, das dachte ich mir auch. Gerade gut genug für uns alte Genießer.« Boll nickte zufrieden.
     
    *
     
    Er und Jung waren Bewunderer der Rheingauer Rieslingweine. Sie hatten seinerzeit die Adressen ihrer bevorzugten Weinbauern ausgetauscht und sich die eine oder andere Kiste mitgebracht, wenn es sich gerade so ergeben hatte. Jung schnalzte mit der Zunge, wenn er an die Weine Jupp Schells dachte. Schell war Winzer aus Familientradition gewesen, mit eigenem kleinen Wingert und den Traditionen seines Handwerkes verpflichtet. Solange er dem wirtschaftlichen Druck des Weinmarktes standzuhalten vermochte, hatte er seine Weine selbst vermarktet. Ende der 80er-Jahre musste er aufgeben. Die neue Weingesetzgebung begrub seine letzten Chancen, als kleiner Winzer zu überleben. Von da an verkaufte er seine Ernten an Genossenschaften und Großunternehmer wie die Hessischen Staatsweingüter in Eltville. Dort gingen sie unter und waren nicht mehr zu schmecken.
     
    *
     
    Boll kam mit der entkorkten Weinflasche in der Hand aus der Küche. Jung erkannte das schlichte Etikett: das Wappen der Schells auf blassgelbem Grund, darunter die Lagenbezeichnung, der Jahrgang, die Qualitätskennzeichnung nebst Kontrollnummer. Die Angaben waren von einer in rot und weiß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher