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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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von Sidney geweckt, der ein pflaumenfarbenes Samtwams und kurze Hosen mit Seidenstrümpfen trug; ohne anzuklopfen riss er die Tür meiner Kammer auf und trat mit einem breiten Grinsen zum Fenster, um die Vorhänge zurückzuziehen. Auf sein Beharren hin war ich nicht ins Lincoln zurückgekehrt, sondern mit ihm gekommen und im Christ Church in einer Kammer neben der seinen untergebracht worden, die um einiges luxuriöser war als meine frühere Unterkunft. Hier hatte ich ein weiches Bett, wollene Decken, frisches Waschwasser und einen Krug Bier am Bett, obwohl ich von diesen Annehmlichkeiten kaum Gebrauch gemacht hatte, da ich seit meiner Rückkehr von Hazeley Court am Tag zuvor nur geschlafen hatte.
    »Und wie geht es dir an diesem schönen Nachmittag, mein abenteuerlustiger Freund?« Sidney schenkte sich einen Becher Bier ein. Mir fiel auf, dass er jetzt trotz des absoluten Waffenverbots ganz offen ein Schwert an seinem Gürtel trug. Offenbar hatte er beschlossen, dass die Umstände ein Übertreten dieser Regel rechtfertigten.
    Ich setzte mich mühsam auf. Meine Schulter begann zu pochen, als ich mich auf meinen Arm stützte.
    »Ist es schon Nachmittag? Die Schulter tut immer noch weh, aber zumindest fühle ich mich frisch und ausgeruht.«
    »Das solltest du auch, du hast fast einen ganzen Tag geschlafen. Und die ganze Aufregung verpasst.«

    »Warum, was ist passiert?«, fragte ich erschrocken und zuckte erneut zusammen, als ich mich mit dem verletzten Arm aufzurichten versuchte.
    »Gilbert und Sophia sind kurz nachdem wir dich gestern gefunden haben in einem Haus in Abingdon festgenommen worden.« Er nahm eine Orange aus seiner Tasche und bohrte den Daumen in die Schale. »Und Jenkes ist geflohen. Sein Laden wurde durchsucht, aber es wurde nichts Belastendes gefunden – es ist nicht zu glauben. Sein Lehrling wurde verhört, sagte aber nur, sein Meister hätte geschäftlich verreisen müssen. Diesmal ist uns diese Schlange entwischt, aber wenigstens bist du jetzt vor ihm sicher, solange du dich noch in Oxford aufhältst.« Er löste ein Stück Orangenschale ab und ließ es auf den Tisch neben meinem Bett fallen. Der Geruch brachte mir schlagartig die Erinnerung an jenen ersten Morgen in Roger Mercers Kammer zurück, an die Schalenstreifen unter seinem Schreibtisch und den schwachen Duft, der den Seiten des Almanachs entströmt war. Ich fragte mich, ob es nicht besser für alle gewesen wäre, wenn ich ihn nicht an mich genommen oder den Orangenduft nicht bemerkt hätte.
    »Wo sind Sophia und Gilbert jetzt?«, erkundigte ich mich.
    »Vater Jerome befindet sich auf dem Weg nach London, wo ihm eine sehr unangenehme Befragung bevorsteht«, antwortete Sidney, offenbar mehr daran interessiert, die Orange behutsam zu zerteilen und mir ein Stück hinzuhalten. Seine Gleichgültigkeit flößte mir Unbehagen ein. »Sophia«, fuhr er fort, nachdem er sich selbst ein Orangenstück in den Mund geschoben hatte, »steht momentan unter der Aufsicht ihres Vaters. Wie es aussieht, hat man sie gegen Hinterlegung einer größeren Geldsumme entlassen.« Er warf mir einen langen Blick zu und zog eine Braue hoch, was ich als Tadel meiner Komplizenschaft wertete, bevor er sich die Finger ableckte und sich zum Fenster wandte. »Ich bin gekommen, um dir auszurichten, dass ein Bote von Rektor Underhill im Pförtnerhaus eingetroffen ist. Der Rektor bittet dich, ihn noch einmal zu besuchen, bevor du Oxford verlässt.«

    »Ich gehe gleich zu ihm.« Vorsichtig erhob ich mich aus dem Bett. Ich musste dringend mit Sophia sprechen, um mich zu vergewissern, dass sie meine Geschichte bezüglich der Briefe bestätigt hatte. Da man sie der Obhut ihres Vaters übergeben hatte, schien sie nicht auf ihrer Loyalität gegenüber Jerome zu beharren, aber es konnte auch sein, dass sie sich einfach nur auf ihre Schwangerschaft berufen hatte. Wie wird sie mich gehasst haben, dachte ich, als sie mit ansehen musste, wie man ihn in Ketten abführte. Mehr als alles andere wünschte ich mir, eine Gelegenheit zu bekommen, sie um Verzeihung zu bitten; sie davon zu überzeugen, dass ich nur zu ihrem Besten gehandelt hatte. Wahrscheinlich würde sie mir kein Wort glauben, aber ich wollte Oxford nicht verlassen, ohne diese Dinge angesprochen zu haben.
    »Ich komme mit«, sagte Sidney, als ich meine Hose überstreifte und mein Hemd so hastig zuknöpfte, dass ich noch einmal von vorne beginnen musste, weil ich ein heilloses Durcheinander angerichtet hatte. »Jenkes mag sich
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