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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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sie. In ihrem Ton schwang weder Dankbarkeit noch Zorn mit. »Ihr habt mich in der letzten Minute gerettet. Und ich denke jetzt, der Sheriff hat mir einen Gefallen getan, indem er darauf beharrt hatte, mich zuerst ins Gefängnis zu stecken. Hätte ich dieses Loch nicht gesehen, wäre ich vielleicht halsstarrig genug gewesen, um Jeromes willen die Wahrheit zu sagen. Aber zwei Stunden in dieser Hölle …« Sie brach ab, schauderte und strich mit der Hand unbewusst schützend über ihren Bauch. »Ich fürchtete, innerhalb kürzester Zeit krank zu werden, die Luft war so feucht und giftig. Und ich hatte Angst um das Kind«, fügte sie so leise hinzu, dass ich die Worte kaum verstehen konnte. »Wenn sein Vater schon sterben muss, soll es zumindest die Möglichkeit haben zu leben.«
    »Das freut mich«, gab ich gerührt zurück.
    »Das glaube ich Euch gern«, antwortete sie. »Es wäre nicht gut für Euch gewesen, wenn Eure Auftraggeber herausgefunden hätten, dass Ihr gelogen habt, um eine katholische Hure zu retten, nicht wahr? Ihr habt Eure Rolle hervorragend gespielt, Bruno, ich habe Euch nie verdächtigt. Aber Ihr habt mich auch nie verdächtigt, oder? Also seid Ihr vielleicht doch nicht so klug, wie Ihr meint.«
    »Ich erwarte keinen Dank«, flüsterte ich. »Ihr habt allen Grund, mich zu hassen. Aber ich habe immer nur aus Sorge um Euch gehandelt. Er hätte Euch auf der Überfahrt nach Frankreich getötet, Sophia, das weiß ich.«
    »Das sagt Ihr nur, weil Thomas es Euch in den Kopf gesetzt hat. Jerome hätte mir nie etwas angetan. Er liebt mich.« Ein Schluchzen würgte sie in der Kehle, und sie wandte den Kopf zur Seite, um es hinunterzuschlucken; entschlossen, mir gegenüber keine Schwäche zu zeigen.

    »Er liebte seine Mission mehr«, widersprach ich. »Ein Glück, dass unsere gegensätzlichen Ansichten nicht auf die Probe gestellt worden sind und Ihr lebt.«
    »Glück? Ja, ich kann mich in der Tat glücklich schätzen«, versetzte sie bitter. »Meine Familie verstößt mich, der Mann, den ich liebe, wird unter furchtbaren Qualen sterben, und ich werde ihn nie wiedersehen, mein Kind wird mir weggenommen werden, noch ehe ich ihm einen Namen geben kann, und danach werde ich vor Gericht verhört werden. Wenn sie mich nicht einsperren, werde ich zu meiner Tante geschickt und vielleicht mit einem groben, ungebildeten Bauern oder Schankwirt verheiratet, wenn sich einer findet, der bereit ist, über meine Sünden hinwegzusehen. Und wem habe ich dieses ganze Glück zu verdanken, Bruno? Euch allein.« Einen Moment flammte Zorn in ihren schönen bernsteinfarbenen Augen auf, aber sie hatte keine Kraft, ihn zu nähren, und er erlosch rasch wieder.
    »Vielleicht hasst Ihr mich weniger, wenn Ihr Euer Kind im Arm haltet, und sei es auch nur für einen Augenblick.« Ich sah sie fest an. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hielt meinem Blick stand, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Ich hasse Euch nicht, Bruno«, sagte sie matt. »Ich hasse die Welt. Ich hasse Gott. Ich hasse die Religion und die Art, wie sie Menschen zu der Überzeugung bringt, dass nur sie allein das Richtige tun.«
    »Ihr klingt wie Thomas Allen«, erwiderte ich und bereute es sofort, weil es wie ein Versuch klang, die Stimmung zu lockern. Zu meiner Überraschung lächelte sie schwach.
    »Und wir haben ja gesehen, wo das hinführen kann. Armer, armer Thomas. Nein, das Leben ist für Hass zu kurz.«
    »Dann werdet Ihr Eurem Glauben nach der Befragung wieder abschwören?«
    Bei dieser Frage hätte sie fast gelacht, und ihr Gesicht hellte sich kurz auf.
    »Mein Glaube , wie Ihr es nennt, war immer nur ein Mittel zum Zweck, um ihm zu gefallen. Ich hätte den Mond und die
Sonne angebetet und um Mitternacht dem Teufel einen Hahn geopfert, wenn er mich dann mehr geliebt hätte.«
    »Ich erinnere mich … Ihr habt mich deswegen einmal um Rat gefragt«, meinte ich. »Aber ich empfehle Euch, das beim Verhör für Euch zu behalten.«
    »Darauf könnt Ihr Euch verlassen, Bruno.« Sie nickte. »Macht Euch deswegen keine Sorgen. Als ich heute dieses Gefängnis sah, wusste ich sofort, dass ich es aus Liebe zum Papst niemals jahrelang an einem solchen Ort aushalten würde. Für Jerome schon, aber er wäre ja nicht da, um mir dafür Bewunderung zu zollen, nicht wahr? Und das Kind muss am Leben bleiben, das ist alles, was jetzt zählt.« Sie verstummte und starrte lange auf ihre gefalteten Hände. Ich wagte nicht, mich zu rühren. Endlich griff sie in die
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