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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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geschah durch die Wange … Die notwendige Expositionszeit von je 25 Minuten war eine Tortur», schreibt der unerschrockene Röntgenpionier und erkennt schließlich anhand der «Abbildung der Pulpakammern und der in den Knochen steckenden Wurzeln, dass diese Strahlen für unser Fach von Bedeutung sein müssten» [Fri 2 : 68].
    Auch in Frankreich lässt sich ein Physiker von den X-Strahlen zu eigenen Versuchen anregen. Allerdings wiederholt er nicht einfach Röntgens Verfahren, sondern findet einen naheliegenden, neuen Ansatz. Auf ihrer Januarsitzung 1896 stehen die Mitglieder der Pariser Akademie der Wissenschaften unter dem Vorsitz des berühmten Mathematikers Henri Poincaré ganz im Bann der aufregenden Nachrichten und Fotos aus Würzburg. Henri Becquerel, Physikprofessor an der Polytechnischen Hochschule von Paris, ist von einem Detail fasziniert. Ausgangspunkt der X-Strahlen müsse – das bestätigt ihm auch Poincaré – der hellgrüne Leuchtfleck auf der Wand der von Röntgen benutzten Glasröhre sein. Becquerel ist seit langem mit lumineszierenden Substanzen vertraut. Das sind Stoffe, die selbst Licht abgeben, nachdem sie der Sonne ausgesetzt gewesen sind. Vielleicht ließen sich ja mit diesen eigenartigen Mineralien, so spekuliert Becquerel, ähnliche Ergebnisse erzielen, wie Röntgen sie beschreibt. Er möchte herausfinden, ob sie ebenfalls Fotoplatten schwärzen können. Sein Vater Alexandre Edmont Becquerel hat mit dem Phosphoroskop einen empfindlichen Apparat gebaut, der auch noch minimale Leuchtfähigkeiten von Körpern nachweist. Und so steht dem Sohn des Erfinders ein breites Spektrum an Substanzen für seine Versuche zur Verfügung. Noch am selben Tag beginnt er mit den Experimenten und legt erwiesenermaßen nachleuchtende Kristalle auf die Fotoplatten. Die wiederum sind, um Lichteinwirkung zu verhindern, in schwarzes Papier oder in Aluminiumfolie eingewickelt.
    Und so strömen in Becquerels abgedunkeltem Labor Wasserproben, in denen frische Rosskastanienrinde gelegen hat, Flussspat, seltene Platincyanmetalle und Naphtalinrot das eingesogene Sonnenlicht in unterschiedlich intensiven grünen, blauen, violetten und orangegelben Farbtönen wieder aus. Doch die beeindruckenden Farblichtspiele bringen nicht den erhofften Erfolg. Eine Schwärzung der Platten wie bei den X-Strahlen stellt sich, auch nach wochenlangen Versuchen, bei keiner bekannten lumineszierenden Substanz ein. Ende Februar will es Becquerel dann mit Uransalzkristallen versuchen, die für ihre starke Lumineszenz bekannt sind. Er setzt sie dem Sonnenlicht aus, wickelt sie anschließend in zwei Lagen schwarzes Papier und schiebt eine dünne Silberfolie zwischen Präparat und fotografische Platte. Nach einer Expositionszeit von zwei Stunden zeigen sich erstmals tatsächlich dunkle Flecken auf der Platte. Es sind eindeutig die Umrisse der Uransalzkrümel.
    Als Antoine Henri Becquerel seine Entdeckung am 24. Februar 1896 der Akademie der Wissenschaften in Paris mitteilt, vertreten alle Mitglieder die Meinung, die Strahlung des Urans müsse auf seine Nachleuchtfähigkeit zurückzuführen sein. Man habe es wohl auch hier mit Röntgenstrahlen zu tun, die lichtabweisendes Material durchdringen können. Uran ist, gut hundert Jahre nach seiner Entdeckung, ein durchaus bewährtes und beliebtes Glas- und Keramikfärbemittel. Nun aber erweist es sich erstaunlicherweise als das einzige Metall, das Strahlen aussendet, die kein gewöhnliches Licht sein können.
    Die eigentliche Überraschung aber erlebt Becquerel erst ein paar Tage später. Da der Himmel über Paris in diesen letzten Februartagen einfach nicht aufklaren will, stehen auch die Chancen schlecht, eine weitere Uransalzprobe mit Sonnenlicht zu bestrahlen. Deshalb verstaut Becquerel die in Metallfolie verpackte Fotoplatte mit dem daraufliegenden Uranbrocken erst einmal in einer Schublade. Ein paar Tage später – die Sonne scheint immer noch nicht – kramt er sie wieder hervor. Ob Ungeduld im Spiel ist oder die plötzliche Eingebung, das Uran könnte eine Restlumineszenz verströmt haben, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Becquerel entwickelt die Platte und registriert verblüfft auch hier den schon bekannten fotografischen Effekt: Der Umriss des Urankristalls hat sich auf der Fotoplatte als Schatten abgebildet. Fieberhafte Gegenproben mit allen erreichbaren Uranverbindungen, selbst mit nur schwach oder gar nicht lumineszenzfähigen Präparaten, führen alle zu demselben Ergebnis:
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