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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Metallkalk und Phosphorsäure an. Sie wird auch Knochensäure genannt, weil sie aus pulverisierten Tierknochen hergestellt wird. Phosphorsäure ist außerordentlich feuerbeständig und zerfließt in der Glut zu einer Art durchsichtigem Glas. Und so erhält Klaproth zunächst eine klare, smaragdgrüne Glassimulation, während bei einer Mischung mit einem zusätzlichem Anteil Kieselerde ein undurchsichtiges Glas entsteht, dessen helle apfelgrüne Farbe ihn an den Halbedelstein Chrysopras erinnert. Gelinde ausgeglühter Metallkalk der Pechblende, mit Schmelzfluss versetzt, auf Porzellan aufgetragen und in Emailfeuer eingebrannt, ergibt eine satte «oraniengelbe» Farbe.
     
    Die alten Alchemisten stellten häufig – vermutlich nicht selten berauscht von den anregenden Dämpfen in ihrem Labor – Verbindungen her zwischen Dingen und Vorgängen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten. In den Jahrhunderten, bevor Kopernikus und Galilei mit ihren revolutionären Thesen über die Bewegung der Planeten für Aufregung bei den Hütern der christlichen Lehre sorgten, stand die Erde noch im Mittelpunkt des Universums. Sie wurde von sieben Planeten umrundet, zu denen auch die Sonne gehörte. Über eine lange Zeit hinweg waren ebenfalls sieben Metalle bekannt – eine fraglos gottgewollte, auf ewig unveränderliche Ordnung wie das Planetensystem. Und so kam irgendwann ein kluger Kopf, auf Augenhöhe mit dem Wissen seiner Zeit, auf die Idee, diese sieben Metalle den sieben Planeten zuzuordnen. Die Strahlen der zum Erdsatelliten degradierten Sonne bringen das Gold in der Erde hervor. Geheimnisvolle Astralschwingungen des Mondes lassen das Silber unter den Häusern von St. Joachimsthal und Johanngeorgenstadt wachsen. Eisen passt am besten zum Mars, Kupfer zur Venus, Blei zum Saturn.
    Im Revolutionsjahr 1789 nimmt kein seriöser Wissenschaftler solche auf Ähnlichkeiten beruhenden Systeme mehr ernst, zumal sich inzwischen die Zahl der bekannten Metalle auf siebzehn erhöht hat, ohne dass sich die entsprechenden Planeten zu erkennen gegeben hätten. Nun aber hat der deutsche Astronom Wilhelm Herschel vor acht Jahren erst einen neuen Himmelskörper entdeckt, der sich tatsächlich als Planet erwies und den er Uranus genannt hat. Uranus ist vor allem deshalb eine astronomische Sensation, weil er in einer bisher unvorstellbaren Ferne zur Erde um die Sonne kreist. Wird die Strecke zwischen Erde und Sonne mit einer astronomischen Einheit gleichgesetzt, so war der Saturn bis zu Herschels Entdeckung mit rund neun astronomischen Einheiten am weitesten vom Zentralgestirn entfernt. Uranus aber zieht in einer Distanz von sagenhaften neunzehn astronomischen Einheiten oder drei Milliarden Kilometern zur Sonne seine einsame Bahn. Und so hat sich mit diesem unvermuteten Verkehrsteilnehmer das beobachtbare Universum gleich um das Doppelte vergrößert – zumindest im Bewusstsein der eifrig kommunizierenden Mitglieder akademischer Zirkel.
    Auch Martin Heinrich Klaproth wird sich über die schockierenden kosmischen Dimensionen im Klaren gewesen sein, die der neue Planet erschlossen hat. Womöglich werden sie ihn sogar beflügelt haben. Denn in den letzten acht Jahren seit Herschels Uranus-Entdeckung hat niemand ein neues Metall gefunden. Also steht es ihm jetzt frei, das Recht des Entdeckers in Anspruch zu nehmen und an die alte Tradition anzuknüpfen, einen bis dahin unbekannten Metallkörper nach einem Planeten zu benennen. Er hätte das neue Element auch Klaprothium nennen können, doch es soll Uranium heißen. Ein ziemlich pompöser Name für ein zitronengelbes und zeisiggrünes Glasfärbemittel.
     
    Schwere schwarze Vorhänge an den Fenstern lassen keinen Sonnenstrahl ins Labor dringen. Seit nunmehr sechs Wochen arbeitet, isst und schläft der Herr Professor nur noch in seiner Dunkelkammer im Erdgeschoss des Physikalischen Instituts der Universität Würzburg und hütet sein Geheimnis. Nicht einmal seine geliebte Frau Bertha, mit der er die Dienstwohnung im ersten Stock teilt, weiß von seiner seltsamen Entdeckung. Bei allem Verständnis für seinen Beruf muss sie sein Schweigen als Kränkung empfinden. Was sie schmerzt, ist die Ahnung, dass ihr Mann diese freiwillige, an Besessenheit grenzende Isolation in seiner finsteren Höhle da unten offenbar auch noch genießt. Wenn sie einmal – selten genug – diesem blassen Gespenst, das ihr Wilhelm sein soll, kurz auf dem schmalen Korridor begegnet, macht es sich im Eilschritt
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