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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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sie entdeckten nichts. Also hielt man die pechschwarzen Fundstücke eben für «Blende», die den verborgenen Schatz nur vorgaukele. In Wirklichkeit sei die Pechblende – so lautete das abschließende Urteil der Experten – taub, zu nichts nutze und behindere obendrein nur die Suche nach abbauwürdigen Erzen. Seitdem wirft man sie in den Silberstollen des Erzgebirges als Abfall beiseite.
    Klaproth jedoch will es jetzt genauer wissen und das allseits verschmähte Mineral gründlicher untersuchen. Neugierig zerreibt er kleinere Brocken der Pechblende zwischen den Fingern, krümelt sie in Kalisalz hinein und bringt die Mischung im Schmelztiegel zum Fließen. Die schwarzgraue Masse bleibt starr und unauflöslich. Auch in der vom Lötrohr verstärkten Flamme erweist sich die Pechblende als unschmelzbar. Und so glüht er denn seine Steine, auf der Suche nach ihrer Essenz, aus und äschert sie ein, backt sie mit Blutlaugensalz zusammen, alkoholisiert und destilliert, färbt und filtriert sie, lässt sie verglimmen und trocknen, bis aus einer Mischung mit Phosphorsalz überraschenderweise eine klare grüne Perle hervorgeht – ein erster Hinweis auf die richtige Intuition des Experimentators. Da hält sich offenbar doch etwas Besonderes im Inneren des Gesteins versteckt.
    Die vielversprechendsten Proben stammen aus der kleinen Silbergrube «Georg Wagsfort» im sächsischen Johanngeorgenstadt, nahe der Grenze zu Böhmen. In diesem Sommer hat Klaproth häufig in Karlsbad zu tun gehabt – ein beliebter Kurort für Zaren, Könige und den europäischen Adel. Gerade hat er einen Aufsatz über die Mineralquellen des weltberühmten böhmischen Thermalbads vollendet. Seine chemische Analyse des heilsamen Mineralwassers genügt hohen wissenschaftlichen Standards und soll im nächsten Jahr veröffentlicht werden.
     
    Johanngeorgenstadt liegt 25 Kilometer nördlich von Karlsbad. Mitte des 17. Jahrhunderts hatten einige protestantische Familien die böhmische Bergbaustadt St. Joachimsthal verlassen, weil sie wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Auf der sächsischen Seite des Erzgebirges, am Fuß des Fastenbergs, bauten sie eine neue Stadt, die sie nach ihrem Landesherrn, dem Kurfürsten Johann Georg   II., benannten. Eine Brauerei mit Schankstube war eher fertig als Rathaus und Kirche.
    Die Stadt liegt 850 Meter über dem Meeresspiegel am fast abgeholzten Osthang des Fastenbergs. Als Martin Klaproth im Juli 1789, von Karlsbad kommend, hier Station macht, ist sie in den Qualm der Tag und Nacht brennenden Kohlefeuer der Hammerwerke und Hüttenbetriebe eingehüllt. Seine beste Zeit erlebte der Ort Mitte des 17. Jahrhunderts, als bis zu 180 Silbergruben in der näheren Umgebung rentabel waren. Inzwischen sind die meisten von ihnen zwar erschöpft, aber es arbeiten hier immerhin noch mehr als 600 Bergleute. Kilometerlange, von Quecksilber und Schlacke trübe Wassergräben und hohe, zum Teil noch schwelende Abraumhalden prägen die Landschaft. Der Schwefelgeruch scheint hier nie zu verfliegen. Mit geschultem Blick erkennt Klaproth auf dem Weg zur Grube «Georg Wagsfort» die Lichtlöcher von einem Meter Durchmesser am Berghang. Sie spenden den Arbeitern unter Tage frische Luft und Sonnenlicht. Aus vielen Öffnungen quillt Rauch. Er registriert die ordentlich gebauten Grubeneingänge – in manchen steht das Wasser kniehoch – und die von Glücksrittern hastig gegrabenen und dürftig wieder zugeschütteten Erdlöcher.
     
    Im Berliner Labor kommt jetzt die Allzweckwaffe Salpetersäure zum Einsatz. Automatisch hält Klaproth respektvollen Abstand zur weißen Glasflasche mit dem «starken Wasser», aqua fortis , wie die mittelalterlichen Alchemisten die Auflösungskraft der Salpetersäure rühmten. Einen Brocken der matt glänzenden Pechblende übergießt er damit so lange, bis unter roten Dämpfen die schwarze Farbe völlig verschwindet – ein Ereignis, das Klaproth als vollständige Zerlegung seiner Probe wertet. Mit Wasser verdünnt, hat die Auflösung eine «hellweingelbe, ins Grünliche schimmernde Farbe» [Kla:203] angenommen.
     
    Auch an der kuriosen Rathausuhr von Johanngeorgenstadt fährt Klaproths Kutsche vorbei. Bei jedem Viertelstundenschlag springen zwei blecherne Steinböcke aus dem Uhrenkasten und stoßen mit den Hörnern zusammen. Gleichzeitig lüftet ein Bergmann den Schachthut – ein Zylinder ohne Krempe – und klopft mit seinem Stock auf den Boden. Mancher Hausbesitzer klagt hinter vorgehaltener Hand über die
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