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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Notizen oder seine müden Augen schauen glatt durch sie hindurch. Hin und wieder ist er sich der häuslichen Misere bewusst. Aber es hilft ja nichts. Er muss jetzt weiter arbeiten, darf sich auf keinen Fall durch vorzeitige Äußerungen lächerlich machen. Weder vor Bertha, noch in der Öffentlichkeit. Erst muss er endgültige Gewissheit haben. Immerhin steht sein guter Ruf als Physiker auf dem Spiel.
    Im Laborjournal von Professor Dr.   Wilhelm Conrad Röntgen ist der Abend des 8. November 1895 als Datum jener Entdeckung festgehalten, die den quecksilbrigen Wissenschaftler in diesen Arbeitsrausch gestürzt hat. Er untersucht, wie viele Physiker seiner Generation, die vielfältigen Erscheinungsformen des Elektromagnetismus. Vor genau 30 Jahren hat der schottische Physiker James Clerk Maxwell mit vier genialen Gleichungen gezeigt, dass sowohl sichtbares und ultraviolettes Licht als auch elektrische und magnetische Phänomene allesamt zum Spektrum der elektromagnetischen Wellen gehören. Röntgen interessiert sich insbesondere für die Leuchterscheinungen der Elektrizität in Glasröhren. Von der knapp einen Meter langen Röhre mit minimalem Gasgehalt führen zwei Drähte zu einer zylinderförmigen Stromquelle. An diesem denkwürdigen Freitagabend hat er seine Spezialröhre gerade mit einem lichtundurchlässigen schwarzen Karton umhüllt, um herauszufinden, ob er sie dadurch vollständig isolieren kann. Als er in dem abgedunkelten Raum den Starkstrom einschaltet, bemerkt er ein schwaches Leuchten auf dem Tisch in der Nähe der Apparatur. Dort liegt zufällig ein Papierschirm, der mit einer chemischen Substanz überzogen ist, die Licht abgibt, wenn eine geeignete Strahlung auf sie trifft.
    Röntgen ist verblüfft. Aus seiner Glasröhre kann die Strahlung doch nicht kommen. Der enganliegende schwarze Karton hält das elektrische Licht zuverlässig zurück. Er schaltet den Strom aus. Das Leuchten ist augenblicklich vorbei. Er schaltet den Transformator wieder ein. Prompt leuchtet der Schirm auf dem Tisch wieder auf. Röntgen glaubt seinen Augen nicht zu trauen, denn er kennt keine Strahlung, die unter diesen experimentellen Bedingungen seinem Glaskolben entweichen könnte. Er wiederholt die Prozedur einige Male und schiebt dabei den Tisch mit dem Schirm immer weiter von der Röhre weg. Noch bei zwei Metern Entfernung stellt sich die Lumineszenz ein, sobald eine Gasentladung in der Röhre stattfindet. Schwarzer Karton scheint also die Strahlen nicht aufhalten zu können. Jetzt stellt er ihnen Stanniolstreifen, Papierhefte, ein Brett aus Tannenholz und schließlich ein Buch von 1000 Seiten in den Weg. Mühelos durchdringen unbekannte Strahlen auch diese Hindernisse und hinterlassen ihre Spuren auf dem Leuchtschirm.
    Erst jetzt, nach vielleicht zwei Dutzend schnellen, nervösen Versuchen, hat Röntgen ein Auge für die fremdartige Schönheit der Leuchterscheinung. Im Rhythmus der schwankenden Entladungen rollen Wellen zarten, gelbgrünen Lichts über die Oberfläche des Schirms oder ziehen wie Wolken langsam darüber hinweg. Doch am Ende dieses aufregenden Abends glaubt der verunsicherte Wissenschaftler noch immer, das Opfer einer Täuschung geworden zu sein. Allzu phantastisch erscheint ihm die sich aufdrängende These, es hier mit bisher unbekannten Strahlen zu tun zu haben. In den nächsten Tagen geht er systematisch vor und fährt mit dünnen Blechen aus Aluminium und Zink, aus Kupfer, Silber und Gold schwerere Geschütze auf. Doch selbst diese Metalle können der Strahlungskraft keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen. Erst Blei- und Platinbleche von einigen Millimetern Stärke versperren den Strahlen den Weg von der Glasröhre zum Leuchtschirm.
    Allmählich gewöhnt sich Röntgen an den Gedanken, tatsächlich eine neue Art von Strahlen entdeckt zu haben, und kommt auf eine verwegene Idee. Er ersetzt den Leuchtschirm aus beschichtetem Papier durch eine fotografische Platte. Der Versuch gelingt. Die unsichtbaren, in der Glasröhre erzeugten Strahlen dringen durch ein verschlossenes Holzkästchen, in dem ein Satz Metallgewichte aufbewahrt wird. Auf der Belichtungsplatte, die während der Bestrahlung unter dem Kasten lag, zeichnen sich die dunklen Rundungen der Gewichte deutlich ab. Auch eine Kompassnadel, die von einer Blechbüchse umhüllt ist, wird mit diesem neuen Ablichtungsverfahren sichtbar. Als zufällig einmal seine Hand in den Strahlenstrom gerät, erschrickt er. Die Strahlen können offenbar
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