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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Materiestrukturen durchdringen und dort Dinge fotografieren, die dem menschlichen Blick verborgen bleiben. Und da sie bisher so zuverlässig demonstriert haben, wie souverän sie alle möglichen Substanzen durchdringen, kann die fotografische Platte in ihrer Lichtschutzhülle aus Papier oder Blech eingeschlossen bleiben. Dieser glückliche Umstand lässt unmittelbares Fotografieren ohne den Umweg über eine Kamera auch bei Tageslicht oder in beleuchteten Räumen zu. So fliegen die Tage und Wochen im Labor dahin. Was in Würzburg und in der Welt geschieht, interessiert Röntgen wenig. Am 27. November 1895, auf dem Höhepunkt seiner Versuche, gründet der schwedische Chemiker Alfred Nobel, der Erfinder des Dynamits, eine Stiftung, die jedes Jahr einen Preis für herausragende Leistungen in der Chemie, Medizin, Physik, Literatur und bei Bemühungen um den Weltfrieden verleihen soll.
    So sensationell die ersten Beweise für einen strahlenunterstützten Blick durch feste Materie hindurch auch sein mögen, am eindrucksvollsten sind zweifellos die Aufnahmen menschlicher Körperteile. Als Wilhelm Conrad Röntgen am 22. Dezember 1895 endlich seine Bertha einweiht und ihre Hand eine Viertelstunde lang bestrahlt, verschafft er ihr, auch ohne viele Worte, den denkbar spektakulärsten Einblick in das Durchleuchtungsvermögen seiner X-Strahlen, wie er sie jetzt nennt. Wobei er sich das X von den Mathematikern als Universalbezeichnung für eine unbekannte Größe ausleiht. Die X-Strahlen lassen Haut, Muskeln und Nervengewebe von Bertha Röntgens Hand als schwachen Schatten in den Hintergrund treten, bilden dafür aber die Knochenstruktur umso deutlicher ab. Doch beim Blick auf einen Teil des eigenen, lebendigen Skeletts mischen sich in das ungläubige Staunen und in die Begeisterung unausweichlich auch Gedanken an den Tod.
    Am 28. Dezember überreicht Wilhelm Conrad Röntgen dem Sekretär der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft an der Universität Würzburg den ersten Forschungsbericht über seine eigenartigen Lichtspiele in der Abgeschiedenheit seines Instituts. Er trägt den Titel «Über eine neue Art von Strahlen». Die Arbeit geht sofort in Druck und wird an 90 Kollegen in ganz Europa geschickt. Die Zeitungen reagieren blitzartig auf die neue Entdeckung. Auf der ganzen Welt, vor allem in England und in den USA, bricht in den ersten Wochen nach der Veröffentlichung eine wahre Röntgen-Manie aus. Das Foto von Berthas Handskelett regt eine unübersehbare Schar von Medizinern, Physikern und Unternehmern zur Herstellung qualitativ hochwertiger Abbildungen lebender Menschenhände an. Besonderes Aufsehen erregt in diesen ersten Wochen des neuen Jahres 1896 ein Bild aus dem Physikalischen Staats-Laboratorium in Hamburg, auf dem ein Ehering schwerelos um den Ringfingerknochen zu schweben scheint.
    Am 24. Januar berichtet das «Fränkische Volksblatt» über die vermutlich erste praktische Anwendung der X-Strahlen in England. Seit Monaten liegt ein aus unerklärlichen Gründen gelähmter Matrose in einem Londoner Krankenhaus. Da Arzt und Patient nichts zu verlieren haben, wird der Rücken mit X-Strahlen durchleuchtet. Dabei entdeckt der Arzt einen Fremdkörper zwischen zwei Wirbeln, der sich nach der Operation als abgebrochene Messerspitze erweist. Kurze Zeit später steht es dem Matrosen frei, aufrechten Ganges in die nächste Keilerei zu geraten. Es sind solche Meldungen, die die Phantasie befeuern und den Unternehmergeist beflügeln. So kündigt der berühmte Erfinder der Glühbirne, Thomas Alva Edison, an, mit den X-Strahlen ein Gehirn durchleuchten zu wollen. Drei Wochen lang wird sein Haus von Reportern umlagert, bis er schließlich kleinlaut sein Scheitern eingestehen muss. In einer amerikanischen Zeitung regt jemand an, Röntgenstrahlen auf das Gehirn von Verbrechern zu richten, um sie von ihren kriminellen Neigungen zu heilen. Eine nur vermeintlich harmlosere Variante dieser Idee wird sich allerdings tatsächlich durchsetzen, nämlich die Bekämpfung unerwünschten Haarwuchses auf Oberlippen, Leberflecken und Waden des schönen Geschlechts. In Schönheitssalons und Arztpraxen wird bestrahlt, was die Röntgenröhre hergibt. Noch ist die Euphorie groß.
    In Braunschweig schneidet bereits Mitte Januar 1896 der Zahnarzt Otto Walkhoff ein rundes Stück aus einer fotografischen Platte zurecht, wickelt es in lichtabweisendes Papier und klemmt es dann «bei weit geöffnetem Munde hinter beide Zahnreihen. Die Belichtung
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