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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Folgen des «Berggeschreys», wie man hier den inzwischen verflüchtigten Silberrausch nennt. Die vielen, kaum mehr überschaubaren Schächte und horizontalen Erzgänge unter der Stadt sollen verantwortlich sein für die ersten feinen Risse in den Hausmauern und die vermeintliche Absenkung der Fundamente – Schäden, die offenbar nur die Besitzer selbst wahrnehmen können. Sie sind Opfer der Furcht, auch bald zu den Verlierern des Berggeschreys zu gehören. Hinter dem Hammerwerk von Wittingsthal, einem Bergflecken von sieben Häusern am Rand von Johanngeorgenstadt, liegen an besonders matschigen Stellen, wo der Breitenbach in das Schwarzwasser mündet, dünne Fichtenstämme quer über der Fahrspur. Hier ist der Eingang zu der verlassenen Fundgrube «Georg Wagsfort», die Klaproth empfohlen wurde. Die Namen der benachbarten Schächte – Gottes Segen, Unverhofft Glück und Gottes Gnade – lassen noch die ursprüngliche Freude der Bergleute des 17. Jahrhunderts über die Silberschätze in der Erde ahnen. Sie ist bereits vor hundert Jahren aufgegeben worden, wird aber hin und wieder von feinen Herrschaften besucht, die bunte Mineralien für ihre Sammlungen kaufen wollen. Vor vier Jahren war erstmals auch der Geheimrat Goethe aus Weimar, ebenfalls aus Karlsbad kommend, hier aufgetaucht, hatte ein schönes Stück Rotgüldenerz erworben und im Lauf der Zeit immer wieder einmal hier haltgemacht und neue Prachtstücke für seine Sammlung gesucht.
    Nach dem mühseligen Abstieg über Leitern strömt Klaproth auf der ehemaligen Abbausohle der vertraute Geruch von nie endendem Herbstregen und Fäulnis entgegen. Der Steiger weiß genau, wohin er seine Grubenlampe schwenken muss. Überall in die Klüfte und Risse leuchtet er hinein, damit der Logenbruder des preußischen Königs sich an der Herrlichkeit des kristallisierten Grünglimmers berauschen kann. Der haftet in Gestalt dünner, vierseitiger Täfelchen und Würfel in Smaragdgrün, Zitronengelb und Zeisiggrün an der Pechblende. Das Gestein ist von ziegelroten und schwefelgelben metallischen Erden durchzogen. In einem mürben, fettglänzenden Bruchstück entdeckte Klaproth in zart schimmernden Adern und feinkörnigen Flecken sogar bläulich-grauen Bleiglanz.
     
    Im Labor verwandelt ein Schuss Salzsäure das aqua fortis in Goldscheidewasser. Diesen Dreh beherrscht Klaproth inzwischen mit perfektem Schwung aus dem Handgelenk, ohne sich um genaue Abmessungen zu kümmern. Damit in Berührung gebracht, erhitzt sich die Pechblende und schäumt stark auf. Nachdem er die Mischung verdünnt, gefiltert und Schwefelreste abgebrannt hat, kommen wunderschöne Kristalle in verschobenen, sechsseitigen Tafeln zum Vorschein, die ebenfalls zwischen Hellgrün und Gelb changieren. Nach weiteren Versuchen mit Laugensalzen und geschwefeltem Ammoniak bleiben zitronen-, licht- und safrangelbe Abscheidungen übrig, die er als Metallkalk identifiziert. Das gelbe Mehl mit Leinöl zu einer Art Kuchenteig angerührt und bei mittlerer Hitze im Porzellanofen gebacken, bringt einen feinen schwarzbraunen Staub von metallischem Glanz hervor, den er zwischen den Fingern zerreiben kann. Erneut mit Salpetersäure übergossen, erhitzt sich die Mischung. Wieder steigen rote Dämpfe auf, und Klaproth zweifelt nun nicht mehr daran, seinem Metallkalk den Sauerstoff ausgetrieben zu haben. Im stärksten Feuer des Porzellanofens geschmolzen, ist daraus eine feinschaumig poröse Masse aus gesinterten, matt schimmernden Metallkörnern geworden. Und als er den Klumpen mit der Feile bearbeitet, blitzt unter der eisengrauen Farbe der erhoffte Metallglanz auf. Klaproth ist jetzt überzeugt, die metallische Substanz der Pechblende isoliert zu haben. Er hat einen neuen «Metallkörper» entdeckt.
    Der Apotheker Martin Heinrich Klaproth hat sich ganz und gar der experimentellen Chemie verschrieben. Als Mitglied der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften und Professor der berühmten Bergakademie Freiberg wäre er wohl kaum der exzellente Praktiker mit dem ausgezeichneten Ruf, wenn er nicht über die Fähigkeit verfügte, aus ähnlichen Reaktionen in längst bekannten Zusammenhängen Erkenntnisse für seine neuen Arbeiten zu gewinnen und obendrein über die eine oder andere praktische Anwendung nachzudenken. Deshalb will er jetzt einer Vermutung nachgehen und testet die Eignung der metallischen Pechblendenessenz als Glas- und Porzellanfärbemittel. Dafür rührt er unterschiedliche Mischungen aus dem gelben
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