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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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sie noch zögert, die Konsequenz daraus anzuerkennen, so bleibt ihr letztlich doch nur eine einzige Schlussfolgerung: In den natürlich vorkommenden, unbearbeiteten Uranmineralien muss noch eine andere Substanz verborgen sein, die stärker strahlt als Uran und Thorium. Da aber Madame Curie schon alle 1898 bekannten Elemente mit dem Apparat ihres Ehemanns Pierre auf Strahlung untersucht hat, kann diese verborgene Substanz nur ein neues chemisches Element sein.
    Im Sommer des Revolutionsjahres 1789 hatte Klaproth in Berlin ein neues Element aus der Pechblende isoliert und es nach dem sonnenfernsten Planeten Uranus benannt. Es gibt den Gläsern, Vasen und Flakons des gerade reüssierenden Jugendstils den typischen gelbgrünen Schimmer in allen Tönen von sattem Bernsteingelb bis zu dunklem Apfelgrün. Und nun ist Marie Curie, mehr als hundert Jahre später, offenbar einem weiteren unbekannten Element in der Pechblende auf der Spur. Welch ein Triumph nach vier Monaten Arbeit. Noch kann sie es nicht als materielle Substanz präsentieren, denn seine Existenz in diesem Gestein ist flüchtiger als ein Windhauch. Aber sie ist zuversichtlich, den Stoff bald auch als etwas Sicht- und Wägbares in ihren Mörsern zerknirschen zu können.
    Jetzt steht sie gemeinsam mit ihrem Mann im Labor. Pierre Curie hat die Arbeit an Kristallen aufgegeben, um seine Marie bei der Suche nach dem neuen Element zu unterstützen. Mit dem Optimismus von Pionieren opfern sie von ihrem gutgehüteten Pechblendenschatz stolze hundert Gramm für das mühselige Geschäft der Auflösung, Trennung und Reinigung des Minerals. Sieben Wochen später kann Marie Curie ihren hypothetischen Stoff von allen anderen in der Pechblende enthaltenen Substanzen abtrennen. Zuletzt hatten sie und Pierre Schwefelwasserstoff und Feuer so effektiv eingesetzt, dass die Probe dreihundertmal stärker strahlte als Uran. Und mit jeder weiteren Reinigung steigt die Radioaktivität weiter an. Nun sind die letzten Zweifel beseitigt.
    Am 18. Juli 1898 erhält die Akademie der Wissenschaften in Paris einen Aufsatz des Ehepaars Curie mit dem Titel «Über eine neue, in der Pechblende enthaltene radioaktive Substanz». Die einunddreißigjährige Marie Curie hält das neue chemische Element für die bedeutendste Entdeckung ihres Lebens und nennt es zu Ehren ihres Heimatlandes «Polonium». Aber die Pechblende hält eine noch größere Überraschung mit weitreichenden Folgen für sie bereit. Nach der Poloniumisolierung ist nämlich noch eine geringe Menge des Leichtmetalls Barium übrig geblieben. Und auch die weist noch eine erhebliche radioaktive Strahlung auf. In dem mattgrauen Stoff muss also noch eine zweite, unbekannte radioaktive Grundsubstanz verborgen sein.
    Doch unerklärlicherweise ermüden die Curies jetzt schnell, wenn sie mit den strahlenden Substanzen hantieren, und müssen gegen eine seltsame Lethargie ankämpfen. Außerdem klagt Pierre seit kurzem über Gliederschmerzen, die er als rheumatische Erkrankung deutet, während Marie an rissigen, entzündeten Fingerspitzen leidet. Offenbar brauchen sie eine Erholungspause. So bleiben denn auch ihre Laborjournale bis zum 11. November geschlossen. Bis Weihnachten hilft ihnen der renommierte Chemiker Eugène Demarçay, eine sogenannte Spektroskopie des neuen Stoffs zu machen. Jedem chemischen Element lässt sich eine eigene charakteristische Spektrallinie zuordnen. Sie stellt das Licht dar, das von erhitzten Atomen dieses Elements abgegeben wird, und ist sozusagen der unverwechselbare Fingerabdruck dieser speziellen Atomsorte. Und auf diesen eindeutigen Beweis für die Existenz des neuen Elements arbeitet Demarçay hin. Auf Elektroden streicht er eine winzige Probe davon, durch die er einen elektrischen Funken leitet. So gelingt es ihm, das Funkenspektrum der Substanz zu fotografieren. Auf dieser Fotografie findet er eine Spektrallinie, die zu keinem bekannten Stoff gehört [Rei:73]. Nach jedem weiteren Reinigungsschritt ist die unbekannte Spektrallinie schärfer zu erkennen.
    Und so kann das erfolgreiche Trio am 26. Dezember der Akademie eine weitere Arbeit vorlegen. Darin nennen sie das neue radioaktive Element «Radium». Es strahlt neunhundertmal stärker als Uran, scheint aber ein noch viel größeres Radioaktivitätspotenzial zu haben. Eine weitere Reinigung und Verfeinerung des Radiums ist allerdings nicht mehr möglich, weil die Curies ihren Pechblendenvorrat restlos aufgebraucht haben. Durch die guten Beziehungen zu dem
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