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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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dermaßen akut geworden, dass wir keinen Apparat mehr in gut isolierendem Zustand halten können» [Cur 1 : 109]. Wenn das Labor derart verstrahlt ist, werden die Messungen verfälscht, sodass sie anderswo durchgeführt werden müssen.
    Aber die beiden können diesem Effekt auch etwas Positives abgewinnen. Denn je mehr sich das Radium seiner reinen Form nähert, umso stärker wird sein spontanes Leuchten. Und so gehört es bald schon zu den beliebten «Zerstreuungen» des Paars, wie Marie sich ausdrückt, spätabends noch einmal die Tür zum Labor zu öffnen, um sich an dem phantastischen Anblick zu erfreuen: «Überall sahen wir dabei die schwach leuchtenden Umrisse der Gläser und Beutel, in denen unsere Präparate untergebracht waren. Dies war ein wirklich herrlicher Anblick, der uns stets neu erschien. Die glühenden Röhrchen sahen wie winzige Zauberlichter aus» [Cur 2 :35].
    In Deutschland wird die Arbeit der Curies selbst ein Jahr nach der Entdeckung des Radiums von der Gelehrtenwelt kaum zur Kenntnis genommen. Nur eine Hand voll Außenseiter wie Julius Elster und Hans Geitel bleiben Becquerel und den Curies auf der Spur. Sie beteiligen sich auch an den Spekulationen über die Ursache der Strahlen. So vermutet Marie Curie noch im Sommer 1898, die radioaktiven Substanzen könnten als einzige Elemente des periodischen Systems in der Lage sein, kosmische Strahlen aus dem Weltraum zu absorbieren und in die beobachtete Strahlung zu verwandeln. Zur Überprüfung dieser sogenannten Sekundärstrahlentheorie fahren Elster und Geitel in einem Bergwerk bei Clausthal im Harz mit einem Uranpräparat 850 Meter tief unter die Erde. Dabei gehen sie von der Vorstellung aus, die Erd- und Gesteinsschicht müsse die kosmische Strahlung absorbieren, sodass sie in dieser Tiefe nicht mehr messbar sei. Aber sie stellen fest, dass das Uran in 850 Metern Tiefe genauso stark strahlt wie am Schachteingang. Und so kommen sie zu dem Schluss, dass kosmische Strahlung als Ursache für die Radioaktivität «in höchstem Grade unwahrscheinlich ist» [Fri 1 :115]. Auch Marie Curie selbst nimmt von dem Experiment der Deutschen Notiz und wertet es als Beweis für die Unrichtigkeit der kosmischen Sekundärstrahlentheorie [Cur 1 :128].
    Anfang 1899 liegt die richtige Lösung in der Luft. Auf einer Versammlung des Braunschweiger Vereins für Naturwissenschaften vom 19. Januar 1899 berichten Elster und Geitel über ihre Forschungen auf dem Gebiet der Radioaktivität und nehmen dabei folgenden erstaunlichen Standpunkt ein: «… man wird vielmehr aus dem Atome des betreffenden Elementes selber die Energiequelle ableiten müssen. Der Gedanke liegt nicht fern, dass das Atom eines radioaktiven Elements [von] einer instabilen Verbindung unter Energieabgabe in einen stabilen Zustand übergeht» [Fri 1 :115]. Damit deuten sie erstmals nicht nur die atomare Quelle der Strahlen, sondern auch die Möglichkeit eines Atomzerfalls als Erklärung für die Strahlung an – eine These, die schon bald von Ernest Rutherford und Frederick Soddy in Montreal präzise ausgearbeitet wird. Zu dem Forscherkreis im Braunschweiger Land gehört auch der Zahnarzt Otto Walkhoff, der schon zwei Wochen nach der bahnbrechenden Veröffentlichung Röntgens seinen Ober- und Unterkiefer mit den X-Strahlen abgebildet und damit erstmals den therapeutischen Nutzen der neuentdeckten Strahlung für die Zahnheilkunde demonstriert hat. Im Zentrum aber steht zweifellos Professor Friedrich Giesel, der leitende Chemiker der Braunschweiger Chininfabrik Buchler. Er entwickelt ein raffiniertes Trennungsverfahren für Radium, das erheblich schneller zum Erfolg führt als die Reinigungsmethode von Marie Curie. Giesel korrespondiert lebhaft mit dem Forscherehepaar in Paris. Man schickt sich gegenseitig hochradioaktive Präparate mit der Post und tauscht Forschungsberichte aus. Für seine Firma spezialisiert er sich auf die kommerzielle Herstellung von Radiumpräparaten, um die allmählich steigende Nachfrage in den Labors zu befriedigen.
    Schon im Jahr 1896, als alle Welt sich auf die X-Strahlen stürzt und die Becquerel’sche Entdeckung ignoriert, hat Giesel die Eigenstrahlung eines Uranerzes benutzt, um das Bild eines Frosches auf die Fotoplatte zu bannen. Die ähnliche Abbildungsfähigkeit von Röntgen- und Becquerelstrahlen legt die Frage nahe, ob es auch eine vergleichbare physiologische Wirkung beider Strahlenarten geben könnte. Nach mittlerweile vier Jahren Erfahrung mit den
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