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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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tatsächlich die Existenz einer weit über dem Durchschnitt liegenden elektrischen Ladung anzeigt. Ein heikles Detail ihrer Untersuchung verbannen Elster und Geitel schamhaft ins Kleingedruckte einer Fußnote: «Auch der Urin der Versuchsperson (ca. 220 ccm) gab beim Durchperlen von Luft an diese eine Emanationsmenge ab, die ihre Leitfähigkeit auf das 7-Fache der normalen erhöhte» [Fri 2 :127].
    Friedrich Giesels Hände sind jetzt ständig entzündet. Es bilden sich Schuppen auf der Haut, und die Fingerspitzen verhärten sich. Die maßlosen Selbstversuche geschehen aus wissenschaftlicher Neugier und in dem Bewusstsein, als Pionier etwas wagen zu müssen. Auch Marie und Pierre Curie glauben zunächst nicht an eine ernsthaft schädigende Wirkung der aufgenommenen Strahlung. Marie geht im Frühjahr 1903 die Arbeit im Strahlenschuppen nicht gemächlicher an, nur weil sie wieder schwanger ist. Selbst nach einer Fehlgeburt ahnt sie nicht, dass der Tod ihrer Tochter höchstwahrscheinlich mit der Radiumstrahlung zu tun hat. Denn die zerstört mit Leichtigkeit ausgerechnet Zellen im Teilungsprozess – der zelluläre Normalzustand im Embryo.

Kapitel 2
    ATOMKERN
    Die spektakulären Umstände der Radiumgewinnung, die Berichte vom magischen Leuchten des neuen Elements und nicht zuletzt die Verleihung des Physiknobelpreises an Henri Becquerel und das Ehepaar Curie 1903 verbreiten den Ruhm der Pariser Forscher auf dem Gebiet der Radioaktivität über die Grenzen der wissenschaftlichen Fachzeitschriften hinaus. In der Physikergemeinde aber führt vor allem eine ganz spezielle, unerklärliche Eigenschaft des Radiums zu aufgeregten Diskussionen. Ein Stück Kohle verbrennt in kürzester Zeit seine gesamte Wärmeenergie. Zurück bleibt eine Prise ausgeglühter Asche. Auch Schießpulver oder Dynamit entladen ihre Energie in einer heftigen Explosion und hinterlassen nicht weiter verwertbare Reste. Beim Radium ist alles anders. Mit seiner Strahlung ist nämlich eine offenbar fortwährende Wärmeentwicklung verbunden. Sie übertrifft die Energie, die mit der chemischen Reaktionswärme bei molekularen Umwandlungen einhergeht, um das Zwanzigtausendfache. Seit knapp drei Jahren versorgt Friedrich Giesel als einziger Radiumhersteller weltweit von Braunschweig aus Forscher mit Radiumbromidproben in Mengen, die sich für Untersuchungen im Labor eignen. Zur Freude der Wissenschaftler nutzt er sein Weltmonopol nicht aus. Großzügig verleiht und verschenkt er auch Präparate. Seither berichten Franzosen, Deutsche, Engländer und Amerikaner übereinstimmend, dass die Strahlung des hochradioaktiven Elements nicht abnimmt. Es gibt seine Energie ununterbrochen und mit stets gleicher Rate ab: Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und ein Ende ist nicht absehbar. Pierre und Marie Curie halten die Strahlung zwar für eine atomare Eigenschaft, aber sie können die rätselhafte in der Materie schlummernde Energie nicht erklären.
    Parallel zur Arbeit der Curies ist im kanadischen Montreal der aus Neuseeland stammende Physiker Ernest Rutherford bereits mit einer gründlichen Bestandsaufnahme des noch jungen Forschungsgebiets beschäftigt. Gemeinsam mit seinem englischen Assistenten Frederick Soddy hat er eine Theorie entwickelt, die alle bekannten Strahlungsphänomene befriedigend erklärt. Es finde nämlich, so behaupten sie, eine allmähliche Umwandlung der Atome radioaktiver Substanzen statt. Begleitet von energiereicher Strahlung, zerfielen Uran, Radium und Thorium über mehrere Zwischenstufen in Atome anderer Elemente. Die bei diesem Umwandlungsprozess freigesetzte Energie ströme unmittelbar aus den Atomen heraus. Unerschöpflich allerdings sei diese Energiequelle nicht. Denn gleichzeitig mit der Energieabstrahlung verlieren die Atome eben auch einen Teil ihrer materiellen Substanz. Es findet also ein Zerfall der Atome statt, der nach einer bestimmten, wenn auch manchmal sehr langen Zeit wieder aufhört. Danach ist die Umwandlung beendet, die Atome des Endprodukts sind wieder stabil und geben keine Strahlung mehr ab. Die Energiequelle ist dann versiegt. Und darum verstoßen radioaktive Vorgänge auch nicht gegen den geheiligten Energieerhaltungssatz. Keine Energie geht verloren, keine zusätzliche Energie wird erzeugt. Die Energieabstrahlung steht also in direkter Beziehung zum Masseschwund im Atom.
    Rutherford und Soddy werten ihre Daten statistisch aus und erkennen, dass der Zerfall aller bekannten radioaktiven Substanzen und ihrer Zwischenprodukte
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