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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Wiener Geologen Professor Eduard Süß gelangen sie an hundert Kilogramm Pechblende, die ihnen die staatliche Uranfabrik im böhmischen St. Joachimsthal großzügigerweise ohne Berechnung überlässt.
    Die bessere Abstellkammer, in der das Forscherpaar bisher gearbeitet hat, wird den neuen Arbeitsanforderungen nicht mehr gerecht. Sie brauchen mehr Platz und bekommen die Erlaubnis, einen ehemaligen Sezierraum der Schule zu benutzen. Marie Curie beschreibt den Schuppen: «Das Glasdach bot keinen vollkommenen Schutz vor Regen. Im Sommer war es heiß und schwül; im Winter bereitete der zum Glühen erhitzte Ofen nur Enttäuschung. Direkt am Ofen war es unerträglich heiß, doch einige Schritte weiter konnte man erfrieren» [Cur 2 :34]. Tochter Éve erzählt von eigens markierten Stellen auf Arbeitstischen und Fußboden, auf die der Regen durchs beschädigte Glasdach fiel. Dort durften keine Apparate hingestellt werden. Wegen der «schädlichen Gase», die im Schuppen nicht abziehen können, muss ein großer Teil der Arbeit ohnehin auf dem kleinen Innenhof erledigt werden. Der berühmte Chemiker Wilhelm Ostwald hält bei einem Besuch des Labors das Ganze für einen schlechten Scherz – «eine Kreuzung zwischen Stall und Kartoffelkeller» [Rei:78   f.].
    Madame Curie steht also vor ihrem gusseisernen Bottich und rührt stoisch mit einem Eisenstab, der fast so groß ist wie sie selbst, die dampfende Flüssigkeit um. In einer langwierigen Folge immer gleicher Schritte zerkleinert sie das Material, löst es in warmer Salzsäure und Schwefelwasserstoff auf, versucht vergeblich, den giftigen Dämpfen auszuweichen, filtert, reinigt und kristallisiert die strahlende Brühe. Es ist auch ein Kampf gegen den stets vom Hof hereinwehenden Kohle- und Eisenstaub, der die sorgfältig geschützten Kristallisationsgefäße auf den Tischen dennoch hin und wieder verunreinigt und damit die Arbeit vieler Stunden oder gar Tage ruiniert. Marie und Pierre Curie wissen inzwischen, dass auch hundert Kilogramm Pechblende viel zu wenig Ausgangsmaterial sind, um eine ausreichende Menge Radium für die Bestimmung seines Atomgewichts zu destillieren. Sie müssen in industriellen Maßstäben denken. Mindestens eine Tonne sollte schon in den Kristallisationsprozess eingehen. Sie finden einen Industriepartner, die Societé Centrale des Produits Chimiques, die ihnen die Schwerarbeit der Abscheidung abnehmen will. Als Gegenleistung wünscht sich die Pariser Chemiefabrik offenbar nur ein kleines Quantum Radium als Leihgabe, um es auf der Weltausstellung 1900 in Paris zu präsentieren [Bra:46].
    Die einst für ihren Silberreichtum berühmte böhmische Bergbaustadt St. Joachimsthal gehört inzwischen zur Doppeladlermonarchie Österreich-Ungarn. Die Uranfabrik bereitet seit nunmehr knapp fünfzig Jahren die Pechblende auf, die vor Klaproths Zeiten als Abfall galt. Hier werden sämtliche Uranverbindungen aus dem zerkleinerten Erz abgeschieden und für die heimischen Glashütten und Porzellanmanufakturen zu Färbemitteln verarbeitet. Die uranfreien Rückstände ihrerseits sind jahrzehntelang als wertlos erachtet und in einen an der Fabrik vorbeifließenden Bach geworfen worden. Neuerdings aber werden diese sogenannten Laugerze in einem Kiefernwald hinter dem Fabrikgelände gehortet – ein Glücksfall für die Curies, denn in ihren Augen ist dieser Abfallhaufen am Waldrand natürlich ein strahlender Schatz, der Polonium und Radium enthält. Außerdem haben die Joachimsthaler das mühselige Geschäft der Uranabscheidung bereits für sie erledigt. 150 Francs für eine Tonne plus Speditionskosten sind ein annehmbarer Preis. Die schweren Säcke, die bald auf dem Hof der Physikschule in Paris abgeladen werden, enthalten ein braunes Pulver, in dem lauter Zapfen und Nadeln von Kiefern stecken.
    Marie Curie empfindet die Pionierarbeit der fortschreitenden Reinigung des Radiums in ihrem windschiefen und undichten Labor als eine glückliche Zeit. Hin und wieder kocht sie sogar das Mittagessen in ihrer Strahlenküche, wenn sie einen wichtigen Versuch nicht unterbrechen will. In seinen festen Salzen strahlt Radium fünf Millionen Mal stärker als Uran. Womit die Curies allerdings kaum gerechnet haben: Alle Laborgegenstände, die mit dem hochaktiven Radium in Berührung kommen, werden ebenfalls radioaktiv und hinterlassen durch schwarzes Papier hindurch ihre Schatten auf fotografischen Platten. «Der Staub, die Zimmerluft, die Kleider sind radioaktiv … das Übel [ist]
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