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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Alarm gegeben. Günstige Windverhältnisse treiben die Wolke mit ihrer unglaublich hohen Zerfallsaktivität weiter in die Troposphäre, wobei die Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt [Hac:99]. Das Abdriften der Wolke sorgt für einen feiner verteilten Niederschlag der an Staubteilchen anhaftenden radioaktiven Teilchen über eine Fläche von einigen tausend Quadratkilometern [Sza 1 :121].
    Die Strahlenkontrolleure John Magee und Joseph Hirschfelder folgen in ihrem Jeep der radioaktiven Wolke und bekommen in einem Kramladen am Straßenrand, 25 Kilometer nördlich vom Nullpunkt entfernt, das erste Feedback aus der ahnungslosen Bevölkerung: «Ihr Jungs müsst ja heute früh ein Riesending gedreht haben», werden sie begrüßt, «die Sonne ging im Westen auf und gleich wieder unter» [Sza 1 :84]. Wer in den Kleinstädten San Antonio und Socorro, im Kaff Carrizozo oder auf einer Farm in dieser spärlich besiedelten Gegend lebt, weiß über die hektischen Aktivitäten im militärischen Sperrgebiet der Jornada Bescheid. Ein für sein Geschick beim Schweißen bekannter Farmer durfte sogar beim Bau des Trinity-Turms helfen und ist dafür gut bezahlt worden. Der Sinn seiner Arbeit wurde ihm nie erklärt. Die Schwertransporte und die auffällig vielen Armeelimousinen vom Wochenende sind das Tagesgespräch in den Geschäften, Bars und am Gartenzaun. Aber trotz aller Neugier stellt hier niemand Fragen. Noch kämpfen die amerikanischen Truppen. Noch sind die Japaner nicht besiegt.
    Der Dorftrottel von Carrizozo ist auf die Straße gelaufen und hat die Himmelserscheinung im Morgengrauen lautstark als Luftangriff der Japaner gedeutet. Andere Einwohner denken an ein Erdbeben, an den Einschlag eines Meteoriten oder an den Absturz einer B-29, als das Geschirr vom Tisch fällt und die Fensterscheiben zerspringen. Was immer die Jungs da heute in der Morgendämmerung in die Luft gejagt haben mögen, wer früh genug auf den Beinen war oder von dem Leuchten aus dem Schlaf gerissen wurde, wird dieses Erlebnis sein Leben lang nicht vergessen. Rancher erzählen von fliehenden Pferden. Ein Schäfer, ein Farmgehilfe, ein Vater, der mit seinem Sohn früh nach Santa Fe fahren wollte und mehrere Reisende auf dem nahen Highway bestätigen die Geschichte, die Ed Lane dem Reporter der Lokalzeitung erzählt. Ed ist Lokomotivführer bei der Santa-Fe-Eisenbahngesellschaft und gegen halb sechs mit seinem Güterzug unterwegs von Albuquerque, New Mexico, nach El Paso, Texas, «da schien mir, als sei die Sonne urplötzlich aus der Dunkelheit hervorgetreten. Ich sah einen gewaltigen Blitz. Ihm folgte ein grelles rotes Licht, während hoch oben am Himmel drei riesige Rauchringe wirbelten, als würden sie von einer gewaltigen Kraft angetrieben» [Sza 1 :84].
     
    Im ersten Sonnenlicht ist Enrico Fermis Ausflug in die Strahlenzone bereits nach einem Kilometer Fahrt beendet. Sein Panzer bleibt einfach stehen. Er muss mit seinem Fahrer zu Fuß zurück ins Camp laufen. Herbert Anderson hat mehr Glück. Fermis engster Mitarbeiter und Versuchsleiter der ersten Kernspaltung auf amerikanischem Boden, gelangt bis ins heiße Zentrum der Explosion. Sein Sherman-Panzer ist zusätzlich mit Bleiplatten abgeschirmt, was sich als weitsichtige Maßnahme erweist, denn die Strahlung ist wesentlich höher, als die Vorhersagen es erwarten ließen. Die Messgeräte sind überfordert. Sie können die tatsächlichen Strahlungswerte nicht ermitteln. Für das Einsammeln der Erdproben muss Anderson seine Bleifestung nicht verlassen. Er kann das über fernlenkbare Greifarme am Panzer erledigen. Anschließend lässt er sich bis an den Rand des Kraters fahren. Der ist zwischen drei und acht Metern tief, hat einen Durchmesser von rund 400 Metern und ist von einer Kruste aus grünem Glas überzogen. Nur noch ein paar verbogene Moniereisen ragen aus einem Betonfundament heraus – der einzige Hinweis auf den verdampften Trinity-Turm.
    William Laurence ist Reporter der New York Times . General Groves hielt ihn für gottesfürchtig und patriotisch genug, um ihn als Hofberichterstatter für das Manhattan-Projekt zu engagieren. Vor dem Südbunker fragt er jetzt Robert Oppenheimer nach dessen ersten Eindrücken. Die mächtige Explosion habe ihm «Angst eingejagt», gibt der erfolgreiche Projektleiter zu. Er empfinde die Erfahrung «als ziemlich bedrückend». Allerdings würden, so ergänzt er, «viele Jungs, die heute noch nicht erwachsen sind, der Bombe einmal ihr Leben verdanken»
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