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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Alphateilchen ab, die wiederum eine Hand voll Neutronen aus den Berylliumatomen freisetzen. Die sausen in die Plutoniumkugel – in den dichtesten Klumpen Materie, der je auf der Erde existiert hat – und lösen eine Kettenreaktion aus. Die Kernspaltung setzt sich über etwa 80 Neutronengenerationen fort. Mit der dabei frei werdenden Energie wird eine ungeheure Hitze entfacht. Für eine millionstel Sekunde ist es im Zentrum des Dicken Mannes mit über 10 Millionen Grad Celsius so heiß wie im Inneren der Sonne [Rho:584   –   586; 677   f.].
     
    Bei null starrt Joe McKibben noch immer auf sein Zählwerk. Es wird von Scheinwerfen angestrahlt, weil eine Filmkamera die Ereignisse am Schaltpult aufzeichnet. Aber in der plötzlichen Stille nach dem letzten Gong um 5 Uhr 29 Minuten und 45 Sekunden ist etwas anders als zuvor. Da ist durch die geöffnete Hintertür des Bunkers ein anderes Licht hereingekommen, sofern er diese unerhört gleißende Helligkeit überhaupt ein Licht nennen kann. Sie flutet durch den Bunker und taucht die Instrumente vor McKibbens Augen in ein nie gesehenes Weiß, das die Konturen aller Dinge in seinem Sichtfeld einfach verschluckt. Im Blitz des neuen Lichts ist auch die Eichenplattform verdampft und mit ihr der stählerne Turm. Der Blitz ist eigentlich eine ganze Sequenz von Blitzen, die zu schnell aufeinanderfolgen, um sie auseinanderhalten zu können.
    Am Compañia Hill weiß Richard Feynman, dass Hans Bethes Berechnungen dem Blitz eine Leuchtkraft von zehn Sonnen zutrauen. Ein ungeschützter Blick in dieses Licht könnte zu vorübergehender Blindheit führen. Doch die dunklen Schweißerbrillen straft er mit Verachtung. Er hält die Schutzmaßnahme für übertrieben. Die Leuchtkraft des Blitzes in 30 Kilometern Entfernung fürchtet er nicht. Eine viel größere Sorge bereitet ihm die Aussicht, «durch diese Gläser verdammt nochmal nichts zu sehen». Feynman ist eigensinnig genug, einen Blick mit bloßem Auge zu riskieren – im Gegensatz zu Edward Teller, der jedem seine Sonnenschutzcreme aufdrängt. Feynman denkt nach und kommt zu dem Schluss, nur ultraviolettes Licht könne seinen Augen schaden. Da Fensterglas UV-Licht abschirmt, nimmt er einen Logenplatz hinter der Windschutzscheibe eines Lastwagens ein: «Als der Zeitpunkt kommt, ist dieser Wahnsinnsblitz da draußen so hell, dass ich mich instinktiv ducke und einen violetten Fleck auf dem Boden des Wagens sehe. Ich denke: Das muss ein Nachbild sein. Also richte ich mich wieder auf und sehe dieses weiße Licht, das sich in Gelb und dann in Orange verwandelt … Wahrscheinlich bin ich der Einzige, der das verdammte Ding mit bloßem Auge gesehen hat» [Fey:29]. Die Instrumente im Südbunker messen eine Leuchtkraft des Blitzes von zwanzig Sonnen, die zwei Sekunden anhält [Sza:83].
    Das Licht «schoss auf einen zu; es bohrte sich durch einen durch. Es war ein Bild, das man nicht nur mit den Augen sah … es brannte sich für immer ein. Man wünschte sich, es würde aufhören …» [Rho:680], beschreibt Isidor Isaak Rabi seine Empfindungen im 16 Kilometer vom Nullpunkt entfernten Camp. In Rabis Sichtweite spürt der im Sand liegende, aber durch die schwarze Brille zum Nullpunkt schielende Phil Morrison «blendende Hitze» auf dem Gesicht, «als öffnete man einen heißen Ofen» [Ter:512   f.]. Wie Feynman nimmt auch er zuerst ein strahlend violettes Leuchten wahr, das er als Reflektion der Explosion von Erdboden und Umgebung interpretiert. Erst dann beobachtet er durch die Schweißerbrille eine in grellem Weiß leuchtende Scheibe, wo gerade noch der Turm gestanden hat. Ken Bainbridge erschrickt über «die unerwartet starke Hitze an meinem Nacken» [Bai 2 :46]. Einem horizontalen Riss im Schutzglas hat Jack Aeby, der Assistent von Emilio Segrè, einen unfreiwillig nackten Blick auf den Blitz zu verdanken. Eine scharfe weiße Linie vor seinem Gesichtfeld bringt ihn für einen Augenblick aus der Fassung [Cal].
    Am Compañia Hill ist ein Seelenverwandter Feynmans ebenfalls verwegen genug, die Bombenexplosion ohne Schutzmaske zu verfolgen. Robert Serber, der Erfinder des Spitznamens Fat Man für die Implosionsbombe, nimmt noch vor dem überwältigenden weißen Blitz ein «gelbes Glühen» wahr [www 10 ]. Seine Augen brauchen eine halbe Minute, um sich von diesem Schock zu erholen. Die Lichtspiele ereignen sich in völliger Stille.
     
    Auf dem Dach des Nordbunkers steht Berlyn Brixner. Der 34-jährige Fotolaborant hat in Los
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