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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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großen Tieren Vannevar Bush und Robert Oppenheimer zum Fraß vorgeworfen.
    Ein Anruf aus Los Alamos hat für Aufregung gesorgt. Am frühen Morgen hat man den «Chinesen» in einem Canyon gesprengt. Dabei ist er nicht wunschgemäß kollabiert. Die Implosion dieser Kopie der Trinity-Bombe ohne Plutoniumkern ist nach der Auswertung der Magnetfeldmessung nicht regelmäßig genug gewesen und gilt somit als grandioser Fehlschlag. Diese niederschmetternde Nachricht könnte das Aus für den Trinity-Test bedeuten, in letzter Konsequenz vielleicht sogar ein Indiz für die Unmöglichkeit der Plutoniumbombe sein. Jetzt stürzen sich alle auf Kistiakowsky, den Versager. Der Sündenbock wird stundenlang regelrecht verhört, muss dabei Schimpfkanonaden über sich ergehen lassen. Sei er nicht höchstpersönlich an der Kommunistischen Revolution beteiligt gewesen?
    Robert Oppenheimer ist jetzt so bleich wie bei seinem Auftritt als Leiche in «Arsen und Spitzenhäubchen», wiegt kaum mehr als 50 Kilo und kämpft mit den Folgen einer Windpockeninfektion. Er ist – wie fast alle Mitarbeiter – mit seinen Kräften und Nerven am Ende. In seiner Verzweiflung über die schlechte Nachricht aus Los Alamos macht er Kistiakowsky persönlich verantwortlich, sollte der Test auf dem Trinity-Turm genauso scheitern wie der dry run auf der Mesa. Kistiakowsky zweifelt selbstbewusst am Wert der Magnetfeldmessung, die er von Anfang an als Zeitverschwendung angesehen hat. Darauf wirft man ihm vor, er stelle die Maxwell’schen Gleichungen in Frage – die wissenschaftliche Grundlage aller magnetischen und elektrischen Phänomene im Universum. Jetzt gilt er bereits als Ketzer. Doch George Kistiakowsky glaubt an sein Implosionskonzept und an seine Linsenkonstruktion. Kaltblütig bietet er Oppenheimer eine Wette an – ein Monatsgehalt gegen zehn Dollar, dass er Trinity zum Erfolg bomben werde. Oppenheimer nimmt die Wette an [Kis:21].
    Am Sonntagmorgen kommt der erlösende Anruf von Hans Bethe, dem Leiter der Theoretischen Abteilung. Er hat den «Chinesen»-Test noch einmal gründlich analysiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die magnetischen Aufzeichnungen in der Tat bedeutungslos sind. Das Experiment habe auf einem ungeschickten Arrangement der Instrumente beruht. Die Messwerte könnten genauso gut als perfekt symmetrische Implosion gedeutet werden. [Kis:21]. Kistiakowsky ist rehabilitiert. Erleichtert steigt er auf den Turm und beaufsichtigt die Arbeiten seines Teams. Alle 32 Zündkapseln sind jetzt in ihre Fassungen auf der Oberfläche der Bombe geschraubt worden. Don Hornig muss nur noch eine neue X-Einheit anschließen. Ein Gewirr von Kabeln bedeckt die gewölbte Seite, die sich den Kameras im Nordbunker darbietet. Am Sonntagnachmittag lassen sich Groves, Oppenheimer und Bainbridge von dem Caltech-Meteorologen Jack Hubbard die Wetterlage erläutern. Die Besprechung endet mit der Ankündigung, die Bombe werde am Montag, dem 16. Juli, um vier Uhr früh gezündet.
    Offenbar angeregt durch Kistiakowskys Wette mit Oppenheimer im Augenblick seiner größten Bedrängnis geben jetzt noch viele Wissenschaftler ihre Last-Minute-Wetten auf die Sprengkraft des Dicken Mannes ab. Oppenheimer tippt auf bescheidene 300 Tonnen TNT, Bethe auf 8000. Edward Teller prophezeit 45   000 Tonnen TNT und sprengt damit die Dimension der Wette. Kistiakowsky schüttelt amüsiert den Kopf über die hohen vier- oder gar fünfstelligen Zahlen, die im Gespräch sind. Er hält die Vorhersagen der Physiker über die erwartete Gewalt der nuklearen Kettenreaktion für übertrieben. Er selbst wäre schon mit einer satten Explosion zufrieden, wie er sie am 7. Mai beim 100-Tonnen-TNT-Test erleben konnte. Isidor Rabi zahlt als Letzter in den Wettentopf ein. Für ihn ist nur noch die Option auf 18   000 Tonnen TNT möglich.
    Enrico Fermi scheint mit der simplen Formulierung der TNT-Wette nicht zufrieden zu sein. In diesen letzten Stunden vor der Zündung bringt er die verdrängten Ängste vom Sommer 1942 wieder ins Spiel, als Edward Teller bei seiner Erfindung der Wasserstoffbombe die Befürchtung äußerte, die neue Waffe könne womöglich die Erdatmosphäre in Brand stecken. Auch wenn Hans Bethes Berechnungen diese Annahme widerlegten, wird Fermi auf der Zielgeraden doch noch von seinen Zweifeln eingeholt. Wird die Bombe, so lautet sein Wettvorschlag, die Erdatmosphäre entzünden? Und wenn ja, wird dabei nur der US-Staat New Mexico verbrennen oder der ganze Planet?
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