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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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vorgefertigten Teile aus Uranmetall sind inzwischen zu einem zylindrischen Bolzen zusammengefügt worden. Smith schiebt jetzt die Plutoniumkugel mit der eingeschlossenen Neutronenquelle in einen ausgesparten Hohlraum des Bolzens: «Ich war der Letzte, der dieses unheilvolle, warme Metall berührte» [Ber 2 :135]. Der 36 Kilogramm schwere Bombenkern ist fertig.
     
    Mit voller Absicht wartet George Kistiakowsky am späten Donnerstagabend in Los Alamos noch, bis Mitternacht überschritten ist. Erst dann gibt er das Signal zum Aufbruch. Er möchte dem Aberglauben entgegenwirken, ein Freitag, der Dreizehnte, sei kein guter Tag, um zweieinhalb Tonnen einer selbstkomponierten Sprengstoffmischung über unzulängliche Wüstenstraßen zu chauffieren. Er glaubt vielmehr an sein «unverschämtes Glück». Der bewachte Konvoi ist nahezu zwölf Stunden unterwegs gewesen, als der Lastwagen mit seiner schweren Fracht die letzten Rangiermanöver direkt am Stahlturm über dem Detonationsnullpunkt einleitet. Als das Ungetüm schließlich sicher auf einem Holzgestell ruht, errichten Norris Bradbury und sein Team ein leichtes, lichtdurchlässiges Zelt über point zero, um – geschützt vorm Wüstenstaub – die obere Kappe des Behälters abzunehmen. Robert Oppenheimer führt Aufsicht und neigt hin und wieder den Kopf mit dem unvermeidlichen Hut über das Sprengstoffarrangement in Form eines Fußballs von eineinhalb Metern Durchmesser. Der Zeitplan ist eng und die Checkliste lang, aber erstaunlicherweise hat Bainbridge nach jedem bedeutenden Abschnitt der Bombenmontage eine fünfzehnminütige Pause geplant, die jeder Interessierte auf dem Gelände nutzen kann, um sich den Fortschritt anzusehen und von den Experten erklärt zu bekommen.
    Kurz nach 15 Uhr betreten die Kollegen von der McDonald-Ranch mit dem Bombenkern das Zelt. Eine der Sprengstofflinsen ist entfernt worden, sodass Boyce McDaniel vom Bombenmontageteam die in der Mitte eingebettete Urankugel erkennen kann. Sie hat eine zylindrische Öffnung, in die der Bolzen mit dem Plutoniumkern passt. Die Passgenauigkeit zwischen den beiden von Präzisionsmaschinen gefertigten Puzzleteilen lässt nur wenige hundertstel Millimeter Spiel zu. Aber zur Bestürzung aller Anwesenden im Zelt bleibt der Bolzen auf halbem Weg stecken. Niemand kann sich dieses Malheur erklären. McDaniel hält die nervöse Anspannung nicht aus und flieht aus dem Zelt. Der trocken-heiße Wind bläht sich gerade zu einem Wüstensandsturm auf. Und in der Ferne, über der Bergkette im Osten, zucken die ersten Blitze des täglichen Teatime-Gewitters. Der einsame Turm in der flachen Landschaft erscheint ihm vor dieser Sturmkulisse wie ein riesiger Blitzableiter. Als er nach einem kleinen Rundgang ins Zelt zurückkommt, haben sich die Gemüter beruhigt. Inzwischen ist der Bolzen schon ein Stück tiefer in die Urankugel eingedrungen. Bei so vielen versammelten Physikern dauert es nicht lange, bis jemand ein passendes Naturgesetz zur Hand hat: «Der lange Aufenthalt in der Hitze des Farmhauses und die anschließende Autofahrt [in der sengenden Sonne] ließen die Temperatur des Bolzens so sehr ansteigen, dass [er sich ausdehnte] und erst dann in die [kühlere] Kugel passte, als beide Teile das thermische Gleichgewicht erreichten» [McD:43].
    Am Samstagmorgen um kurz nach 8 Uhr wird das Zelt abgebaut und die Trinity-Bombe mit einer elektrischen Winde auf das Eichenbalkenplateau des Turms gezogen. Boyce McDaniel betrachtet das Schauspiel. Ihm ist mulmig zumute, wenn er daran denkt, dass diese phantastische Winde im Wert von 20   000   Dollar schon bald nicht mehr vom Wüstensand zu unterscheiden sein wird. Was wie hastig auf die Bombenhaut geklebte Wundpflaster aussieht, leuchtet im unbarmherzigen Wüstenlicht in grellem Weiß auf. Es ist das scotch tape, mit dem Bradbury die Öffnungen für die Zündkapseln abgeklebt hat. Die sollen heute eingebaut werden, sobald die Bombe auf der Turmspitze fest installiert ist.
    Auf dem Plateau in der Turmspitze ist eine Wetterschutzhütte aus Wellblech mit drei Wänden errichtet worden. Die offene Seite ist auf den Stahlbetonbunker im Norden gerichtet und gibt den Blick auf die Bombe frei. Hinter Fenstern aus kugelsicherem Glas orientieren sich dort Dutzende von Foto- und Filmkameras an einer kleinen Lampe über dem Wellblechdach. Ohne ihren Chef müssen Kistiakowskys Leute an diesem Vormittag mit Zündkapseln und jeder Menge Kabel den Turm hinaufsteigen. Denn der wird gerade den
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