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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Autoren: Hubert Mania
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Robert Serber. Richard Feynman geht schon wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Probleme lösen. Eine halbe Stunde vor Zero streikt der Kurzwellensender. Feynman bringt ihn wieder zum Laufen. Edward Teller ist bester Laune. Er scheint bereits in einer neuen Ära zu leben. In den letzten eineinhalb Jahren ist er hauptsächlich mit der Theorie der Wasserstoffbombe beschäftigt gewesen. Deshalb hat er für die vorsichtigen Schätzungen seiner Kollegen bei der TNT-Wette nur spöttische Bemerkungen übrig. Er ahnt, in welche Dimensionen die Sprengkraft der Nachfolgemodelle einmal wachsen wird. In dieser historischen Stunde aber führt er seinen Avantgardestatus regelrecht vor, indem er sich ohne ironische Gesten oder Kommentare das Gesicht mit Sonnenschutzöl eincremt, um beim Blick in den Feuerball einen Sonnenbrand zu vermeiden. Etliche der big shots , wie Feynman die berühmten Physiker nennt, lassen sich die Tube mit der Sonnencreme reichen.
    Im Südbunker sagt Joseph McKibben die Minuten des Countdowns an, und Sam Allison gibt sie über Funk weiter. Im Camp sitzt Phil Morrison am Empfangsgerät und wiederholt die Ansagen für Groves, Bush, Weisskopf und die ungenannten Soldaten über Lautsprecher. Eine Minute vor Zero erhellt eine Leuchtrakete den Himmel. Der Befehl lautet, sich auf den Bauch zu legen, die Füße zum Nullpunkt ausgerichtet, das Gesicht auf den verschränkten Armen im Sand vergraben. Im Camp geht General Groves mit gutem Beispiel voran. Doch Edward Teller denkt gar nicht daran, diesem Befehl zu folgen, und fordert die illustre Truppe am Compañia Hill auf, mit ihm gemeinsam «dem Ungeheuer ins Gesicht zu sehen» [Tel:24]. Er stülpt sich dicke Handschuhe über, setzt eine Sonnenbrille auf und greift zur Sichtschutzmaske. Allen Gästen und Diensthabenden ist eine solche Schutzmaske ausgehändigt worden.
    45 Sekunden vor der Zündung macht Joe McKibben im Kontrollzentrum Südbunker den 49. und letzten Handgriff auf seiner Checkliste: Er schaltet eine präzisere Schaltuhr ein. Sie wird automatisch elektronische Zeitsignale an die Kameras und Aufzeichnungsinstrumente übermitteln und soll bei null den Dicken Mann oben auf dem Turm wecken. McKibben hat die Zeitscheibe selbst gebaut. Sie dreht sich einmal in der Sekunde um sich selbst und ist mit einem Gong gekoppelt. Und so dröhnen jetzt 44 Gongschläge durch den südlichen Kontrollbunker [Clw]. Neben McKibben sitzt Don Hornig mit konzentriertem Blick vor einem Pult, die Hand an dem Schalter, der die Zündung in letzter Sekunde noch stoppen kann. Robert Oppenheimer hält sich an einem Bunkerpfosten fest und blickt angespannt geradeaus. Alle anderen sind schon draußen und liegen in vorschriftsmäßiger Position im Sand.
    Die prominenten Gäste am Compañia Hill lauschen Sam Allisons Stimme aus dem Kurzwellenempfänger, dem gerade bewusst wird, dass er wahrscheinlich der erste Wissenschaftler ist, der bei einem physikalischen Experiment laut rückwärts zählt [Clw]. In diesen letzten Sekunden vor null tönt der lokale Radiosender mit Peter Tschaikowskis «Nussknackersuite» aus den Funkgeräten [Sza 1 :82]. Mit Allisons «Now!» schließt McKibbens Schaltuhr den Zündstromkreis. Jetzt eilen jede Menge Elektronen gewohnt zuverlässig durch das von einem Gartenschlauch umhüllte Kabel unter der Erde. Es verbindet die Kontrollstation im Südbunker mit Don Hornigs X-Generator auf dem Turm. Der übermittelt seine elektrische Ladung an die 32 Zündkapseln auf der Stahlhaut des Dicken Mannes. Sie feuern zeitgleich im fünfzehnmillionstel Teil einer Sekunde. Die Detonationswellen rasen durch den schnell reagierenden äußeren Sprengstoffmantel. Es ist «Komposition B» aus TNT-Schmelze, Wachsschlämmen und einem hochbrisanten Kristallpulver. Dann treffen sie auf George Kistiakowskys «Sprengstoffseele» mit der von Churchill herabgewürdigten Baratolmischung. Sie bremst die erste Welle ab, bis alle nachfolgenden Wellen sie eingeholt haben. Und so dringt jetzt eine einzige kugelförmige Detonationswelle in den zweiten Block mit Komposition B ein und verstärkt dabei ihre Kraft. Die Urankugel gleicht die letzten Unregelmäßigkeiten der Schockwelle auf ihrem Weg zur Plutoniumkugel aus. Die Kugel wird so zusammengequetscht, dass sie kollabiert und auf die Größe einer Murmel verdichtet wird.
    Zu den Klängen von Tschaikowskis Nussknackersuite überflutet die Detonationswelle die haselnussgroße Neutronenquelle. Das Polonium, Marie Curies Entdeckung, gibt
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