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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten
Autoren: Berndt Guben
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Steuermann ein vorzüglicher Lehrer war. Immer weiter ging der Marsch. Von den Wächtern hatte man die Bemerkung aufgefangen, daß der Zug morgen gegen Mittag El Mengub erreichen werde.

5
    Wenn Michel und seine Freunde geglaubt hatten, auf dem Gewaltmarsch von Algier nach El Mengub bereits alle Qualen der Hölle durchkostet zu haben, so sahen sie sich jetzt darin getäuscht.
    Dieser Weg war ein Kinderspiel gegen das, was jetzt begann. Beim ersten Morgengrauen rannten die Wächter, selbst ehemalige Sträflinge, mit geschwungenen Peitschen in die Steinkrale, wo die Gefangenen gefesselt die Nächte verbrachten. Dann mußten sie an die Arbeit, und oft standen sie bei fünfzig Grad Hitze mit bloßen Füßen auf den glühend heißen Steinen des Bruches und kratzten ohne Werkzeug, nur mit den Händen, riesige Steinblöcke aus dem mit feinem Sand überdeckten Boden. Tagsüber bekamen sie keinen Schluck Wasser und nichts zu essen. Die Arbeit schien nicht enden zu wollen, bis endlich der Abend kam.
    Wenn sie dann ihren Weg bis zu den Steinkralen zurückgelegt hatten, wurden sie, aneinandergefesselt, wieder in die Verliese getrieben, die zu ebener Erde dicht am Ufer eines kleinen Flüßchens lagen. Jeder einzelne Kral, in dem sich etwa fünfzig Männer aufhalten mußten, war nicht mehr als zwanzig Fuß im Quadrat groß.
    Michel war mit seinen Freunden zusammengeblieben und teilte ,seinen Kral mit noch dreiundvierzig spanischen Soldaten.
    Sie waren eben erst von der Arbeit im Steinbruch hereingewankt und fielen nun erschöpft auf das kalte und feuchte Gestein. Über- und untereinander lagen sie. Dabei hinderten sie die Ketten an den Handgelenken, zum Schlafen eine bequeme Stellung einzunehmen. Schlafen? Soweit war es noch nicht. Zuerst gab es — Essen. Diese Art der Fütterung mußte von einem ganz besonders teuflischen Hirn erfunden worden sein; denn sie säte Haß und Zwietracht unter die Leidgenossen.
    Das ging etwa so vonstatten: Nachdem die Eisengitter geschlossen worden waren, schleppte eine Sonderabteilung von Sträflingen, meist aus Arabern bestehend, große, längliche Tröge vor die Kraltür. Die Tröge waren so gestellt, daß man sie, wenn man einen normal langen Arm hatte, durch das Gitter angelnd erreichen konnte.
    Dann wurde abgestandenes Wasser (obwohl genügend Frischwasser vorhanden war) hineingegossen. Zuletzt kamen dann Träger, die in dieses Wasser Brotfladen warfen, die sich in verhältnismäßig kurzer Zeit auflösten. An der Gittertür hatten nie mehr als höchstens zehn Mann zu gleicher Zeit Platz. Jeder, der einmal in seinem Leben gehungert hat, richtig gehungert hat, wird sich ausmalen können, daß in diesem Augenblick unter den Gefangenen eine wahre Schlacht um den kleinsten Platz am Eisengitter einsetzte. Die mit den längsten Armen und der größten Körperkraft hatten natürlich die größte Chance, sich einen oder mehrere der nassen Brotklumpen zu erobern, während sich draußen die Posten einen Spaß daraus machten, hin und wieder ihre Peitsche über die ausgestreckten Hände sausen zu lassen.
    Zwei Abende lang hatten Michel und seine Freunde vergeblich versucht, auf anständige Art und Weise zu ihrem »Brot« zu kommen. Es war ihnen nicht gelungen. In der Zelle befand sich ein spanischer Feldgeistlicher, der unter Aufbietung seiner letzten Kräfte versuchte, Ordnung in das Essenfassen zu bringen. Doch die Soldaten, die sonst bei jeder Kleinigkeit die Heilige Maria anriefen, fluchten und schimpften jetzt nur über diesen Versuch. Sie schlugen ihn sogar und verdächtigten ihn, ein besonders großes Stück für sich selbst erbeuten zu wollen. Da unterließ er
    seine Bemühungen und zog sich resigniert dorthin zurück, wo er Michel und seine Leute bemerkt hatte.
    An einem Abend wurde es Michel doch zu bunt. Er schickte einen vielsagenden Blick zu Diaz Ojo und winkte mit den Augen zu dem Trog hin.
    Ojo konnte sich leicht erklären, was das hieß. Er sollte seine Kräfte für die Kameraden einsetzen.Plötzlich durchgellte ein Pfiff das Tohuwabohu, so laut und so durchdringend, daß die Unentwegten für einen Augenblick einhielten und erschrocken zusammenfuhren. Diesen Augenblick benutzte Ojo und warf sich mit seiner ganzen Körperkraft zwischen die Meute. Er erreichte das Gitter, riß einen Fladen nach dem anderen an sich, die er blitzschnell Michel zuwarf, zu dessen Füßen sich das nasse Brot häufte.
    Noch ehe sich die Gierigsten zur Wehr setzen konnten, schnellte Ojo zurück, baute sich vor dem
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