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Kells Rache: Roman (German Edition)

Kells Rache: Roman (German Edition)

Titel: Kells Rache: Roman (German Edition)
Autoren: Andy Remic
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Kind blickte hinauf in das freundliche Gesicht, das von den Jahren harter Feldarbeit gezeichnet und faltig war wie altes Leder. Er verstand nicht, warum seinem Vater Tränen aus den Augen rannen und auf seiner Haut landeten. Er lächelte, denn die Kräuter, die ihm die alte Merryach gegeben hatte, linderten den brennenden Schmerz in seinem Rückgrat. Glaubten sie vielleicht, sie hätten ihm genug Kräuter gegeben, um seinem Leben ein Ende zu machen? Das hatten sie nicht.
    Parellion küsste seinen Sohn zärtlich; er roch sehr nach Erde. Hinter ihm sah Jage seine Mutter, die sich die Augen mit einem roten Taschentuch wischte. Parellion kniete sich hin, strich dem Jungen zärtlich über die Stirn, stand auf, drehte sich um und ging weg.
    Jage sah ihnen in unschuldiger Naivität nach, missverstehend. Er war eine Weile ganz glücklich, weil die Sonne ihm ins Gesicht schien und der Schmerz zu einem dumpfen Pochen herabgesunken war. Die Sonne war angenehm, und er war von Blumen umringt, konnte das sommerliche Raunen des Flusses hören. Er runzelte die Stirn. Das war doch der giftige Fluss, richtig? Er bemühte sich, sich umzudrehen, nachzusehen, ob das Wasser orangefarben und gelb war. Aber er konnte sich nicht rühren. Sein Rückgrat war gebrochen. Er war unheilbar verkrüppelt.
    Lange Zeit lag Jage zwischen den Blumen, während sein Durst immer größer wurde. Die Kräuter hatten ein seltsames, kribbelndes Gefühl und einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Er fragte sich, wann sein Vater zurückkommen und ihn holen würde. Schon bald, bald schon, antwortete sein eigener Verstand. Er wird dir Wasser bringen, noch mehr Medizin, er wird deinen gebrochenen Rücken heilen, und die Welt wird wieder gut sein. Du wirst schon sehen. Alles wird gut. Alles wird schön.
    Aber Parellion kehrte nicht zurück, und Jages Durst stieg ins Unermessliche. Gleichzeitig pochte der Schmerz in dem Jungen, als würde ein eingesperrter Salamander in seinem Innersten auf und ab rennen, im Kern seines Körpers. Es waren weißglühende Schläge, die sein Rückgrat trafen, wie die Hufe des Pferdes, das ihn getreten hatte.
    Wie dumm er gewesen war! Seine Mutter hatte ihm doch eingeschärft, niemals hinter einem Pferd herzugehen. Das einen Meter achtzig große, riesige Zugpferd war stämmig und friedlich, eine glänzende Kreatur, ein Wallach mit weißen Fesseln. Er war wunderbar kräftig und wurde vor allem eingesetzt, den aus Eisen geschmiedeten Pflug zu ziehen. Jage hatte nur Augen für die kleine Megan gehabt, die einen Drachen steigen ließ, der aus einem alten Hemd und Eibenzweigen gemacht worden war. Wie sie rannte, kicherte, wie die Sonne auf ihren goldgelben Locken schimmerte … er lief über das Feld, um mit ihr zu reden, um sie zu fragen, ob auch er den Drachen fliegen lassen durfte … der Schlag schleuderte ihn wie eine Puppe über den Acker, und lange Zeit nahm er nur abwechselnd Farben und Schwärze in seinem Verstand wahr. Alles war verschwommen, unfokussiert, aber er erinnerte sich an Megans Schreie. Oh, wie gut er sich daran erinnerte!
    Die kupferfarbene Münze der Sonne versank, und Furcht kroch aus den Ecken und Winkeln des kindlichen Verstandes dieses Jungen. Was, wenn Mutter und Vater nicht zurückkehrten? Wenn sie niemals zurückkämen? Wie sollte er trinken? Wie sollte er zum Fluss kriechen? Er konnte sich ja nicht einmal rühren. Tränen liefen ihm über die Wangen, und der bittere Geschmack der Kräuter in seinem trockenen Mund war stark und unangenehm. Noch bitterer jedoch war die Erkenntnis, die in seinem Herzen schwärte. Warum hatten sie ihn hierhergebracht? Er hatte angenommen, sie wollten, dass er den Sonnenschein genoss, nachdem er so lange in ihrer engen Kate gelegen hatte, wo es nach Kräutern, Erbrochenem und saurer Erde stank.
    Als der Mond aufstieg und die Sterne am Himmel funkelten, der Fluss rauschte und Jage die leisen Geräusche der Kreaturen der Nacht hören konnte, wusste er, dass sie ihn hierhergebracht hatten, damit er starb. Er weinte wegen des Verrats, sein ganzer Körper bebte, die Tränen liefen ihm übers Gesicht und kitzelten ihn. Er unternahm jämmerliche Versuche, sich zu bewegen, biss die Zähne zusammen, während der Schmerz in seinem Rücken so schlimm brannte, dass er schrie. Er wand sich ein bisschen auf der Erde, zuck te vor Qualen und Hilflosigkeit, während er zwischen den von den Sternen beschienenen Blumen lag. Ihre Farben waren verblasst, doch ihre winzigen Köpfe
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