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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre
Autoren: Imogen Parker
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sie
überlegte, wieviel sie ihm erzählen sollte. Ihr Blick flog hektisch vom
Buntglas der hohen Wintergartentäfelung über das glänzende, schwarze Klavier zu
den Topfpalmen — überallhin, um ihn nicht ansehen zu müssen.
    Sie hatte die Wahl. Sie konnte sich
einfach entschuldigen und hoffen, daß er sich den Rest dachte, oder darüber
hinausgehen. Was sollte sie tun? Er sah aus, als hätte er ein gewisses
Gleichgewicht wiedererlangt. Wozu sollte sie das jetzt wieder zerstören? Sie
starrte auf den polierten Holzboden und die zerstreuten Schallplatten, die sie
gerade sortiert hatte. Aus einem himmelblauen Quadrat starrte sie Bryan Ferrys
enigmatisches Gesicht an.
    Wenn sie Neil jetzt nicht erklärte,
was sie ihm schon vor zwanzig Jahren hätte erklären sollen, würde immer noch
die Möglichkeit bestehen, daß sie sich in ein paar Jahren, wenn die guten
Vorsätze von heute eventuell vergessen waren, wieder über den Weg laufen würden
und... Das Schicksal war doch sicher nicht so grausam? Aber so, dachte sie und
nahm all ihren Mut zusammen, würde er, wenn das je geschehen sollte, einfach
wegschauen und an ihr vorbeigehen. Sie mußte es ihm sagen. Es war das mindeste,
das sie für Lia tun konnte. Es war das mindeste, das sie ihrem Mann schuldete.
    »Es gibt etwas, das ich dir schon vor
langer Zeit hätte sagen sollen... Als ich unsere Beziehung beendet habe«, fing
sie an.
    Die Worte klangen so nüchtern. Gut.
Genauso hatte sie es haben wollen. Sie versuchte, ihm in die Augen zu sehen,
aber jetzt wandte er den Blick ab. Die Mühe, die er sich gab, lässig zu wirken,
ermutigte sie weiterzusprechen. Er strengte sich so sehr an, den Eindruck zu erwecken,
es sei ihm egal, daß es ganz offensichtlich nicht so war. Es wäre besser, wenn
er es wüßte. Besser, als wenn er sie hassen würde.
    »Ich war schwanger, und ich habe das
Kind abtreiben lassen«, sagte sie zu ihm. »Es tut mir sehr leid.«
    Sie hatte sich schon öfter gefragt, ob
ihm diese Möglichkeit in den Sinn gekommen war. Ganz eindeutig nicht. Sie wußte
nicht, worauf er sich gefaßt gemacht hatte. Jedenfalls nicht darauf.
    »Aber du hast doch die Pille
genommen«, sagte er.
    »Schon, aber weißt du noch, als ich
diese schlimme Mandelentzündung hatte? Die Antibiotika haben die Wirkung
beeinträchtigt oder so... Ich weiß nicht. Jedenfalls war ich es.«
    »Aber du hast mir doch gesagt, du
könntest nicht schwanger werden.«
    »Ja. Vielleicht hatte die Abtreibung
etwas damit zu tun. Aber ich war schwanger«, sagte sie noch einmal, verärgert
über die Implikation, daß sie sich irgendwie geirrt hatte.
    »Oh...«, sagte er ruhig, und dann
schrie er sie plötzlich an: »Wieso zum Teufel hast du mir nichts davon gesagt?«
    Sie hatte nicht damit gerechnet, daß
er laut werden würde. Die Worte kamen wie Schläge. Sie wich vor ihnen zurück.
    »Weil du mich dann hättest heiraten
wollen, und das wollte ich nicht.« Ihre Stimme fing an zu zittern. »Ich wollte
nicht wie dein Bruder und seine Freundin in einem gräßlichen Wohnwagen leben
und nur mit Mühe über die Runden kommen. Ich wollte ein schönes Leben. Ich
wollte schöne Dinge...«, sagte sie und brach in Tränen aus.
    Es klang so erbärmlich, so
materialistisch. Es war nicht nur das, hätte sie sich am liebsten verteidigt,
aber sie hielt sich zurück.
    Er saß ganz still da, starrte ins
Leere und versuchte, alles zu verarbeiten, was sie gesagt hatte. Er nahm gar
nicht wahr, wie sie litt. Als ihr Schluchzen nachließ, sagte er: »Pete und
Cheryl führen die beste Ehe, die ich kenne. Sie sind immer noch zusammen. Wenn
man sich genug liebt, kann man alles meistern...« Seine Stimme war nicht mehr
wütend, nur noch traurig und resigniert.
    »Ich weiß... Es tut mir leid.« Sie
spürte, wie ihre Emotionen sich legten. Bald würde es vorbei sein.
    »Du hast mich nicht genug geliebt«,
sagte er schlicht.
    »Nein«, sagte sie und nahm endlich die
Verantwortung auf sich. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Wieder verstummte er einige Minuten
lang. Dann sagte er: »Du hast das Richtige getan.« Er stand von der
Chaiselongue auf und wandte den Buggy zur Tür. »Du hattest recht. Es hätte nie
funktioniert. Wir haben es ja nicht mal einen Nachmittag in Paris ausgehalten,
ohne uns wahnsinnig auf die Nerven zu fallen.« Zerknirscht lächelte er sie an.
    Das verblichene Jeanshemd war genauso
blau wie seine Augen. Ja, Mum, dachte sie, er sieht immer noch gut aus. Ihr
wurde klar, daß sie ihn jetzt zum letzten Mal sah. Er war
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