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Keine E-Mail fuer Dich

Keine E-Mail fuer Dich

Titel: Keine E-Mail fuer Dich
Autoren: Franziska Kuehne
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wird.
    Ein realistisches Szenario? Wer weiß …

WEGE ZURÜCK ZU UNS SELBST
    Wir haben verlernt, die Augen auf etwas ruhen
    zu lassen, darum erkennen wir so wenig.«
    Jean Giono
    I m Erdgeschoss meines Wohnhauses befindet sich ein Restaurant. Alle zwei Jahre zur Fußball- WM oder - EM wird technisch aufgerüstet: Ein riesiger Flatscreen-Bildschirm hängt dann über der Theke. Die Dekoration ist immer perfekt arrangiert: Vor lauter Deutschland-Wimpeln und -Fähnchen kommt man kaum noch zur Tür rein. Man fragt sich, wie es wohl diesmal wieder werden wird: das »Public Viewing« und das erhoffte Gemeinschaftsgefühl, von dem überall gesprochen wird. Die Menschen haben offensichtlich eine große Sehnsucht nach 2006: Fußball- WM in Deutschland. Wird es je wieder so schön wie damals werden? Alle bemühen sich, die Bars und Kneipen ganz besonders. Nur der Fußball schafft es, dass wir tatsächlich noch Gemeinschaft spüren: ganze vier Wochen lang. Ansonsten können die meisten Menschen mit dem Wort Gemeinschaft nicht mehr viel verbinden. Viele kommen in meine Praxis, fühlen sich allein, einsam, traurig – sogar wenn sie beruflich sehr erfolgreich sind, Partner und Familie haben. Das »Sommermärchen« bleibt für sie eine nette Erinnerung. Nach kurzen Momenten der Gemeinschaft kehren alle zurück an ihre Laptops und beschäftigen sich wieder mit sich selbst.
    Es wird suggeriert, dass wir so frei wie nie zuvor sind, doch das stimmt nicht. Durch die enorme Vernetzung sind wir den Zwängen und Abhängigkeiten der digitalen Welt unterworfen. Wir werden entmündigt, da wir und unser Leben transparent und öffentlich werden. Wir brauchen Unterbrechungen und Pausen von digitalen Geräten. Das menschliche Erleben und Verhalten beruht auf der bewussten und unbewussten Informationsverarbeitung. Deswegen bin ich nicht gleich für ein Verbot dieser Medien – das wäre auch unrealistisch – , aber doch vehement für eine sinnvollere Nutzung.
    Wir brauchen Ruhe, um das wahre Leben überhaupt wahrzunehmen. Jeder braucht Zeit zum Nachdenken. Zeit ist wichtig für die eigene Lebensqualität. Qualität braucht Zeit, dies umfasst alle Lebensbereiche: die Familie, die Liebe, Freunde, Reisen. Wir leben heute von einer E-Mail zur nächsten. Das haben wir klaglos akzeptiert. Die Zeit, die wir mit dem falschen Einsatz der digitalen Geräte verschwenden, frisst unser Leben. Die Defizite, die im zwischenmenschlichen Bereich entstehen, werden dem Menschen erst zu spät bewusst. Das Selbstwertgefühl ist heute leider viel zu sehr abhängig von der Beachtung und Bestätigung durch andere, dadurch entsteht ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Diese »Wettbewerbsgeilheit« macht uns krank. Vom digitalen Grundrauschen brauchen wir Distanz, Stille und Müßiggang. Wir müssen eine neue Qualität von Kommunikation pflegen, nämlich den echten Dialog zwischen zwei Menschen. Vielleicht schaffen wir es, dem anderen wieder zuzuhören, anstatt wahllos aufeinander »einzusenden«. Sich auf einen anderen Menschen zu konzentrieren, erfordert Vereinfachung, »back to the roots«, ohne den ganzen technischen Krimskrams, denn das Einfache ist meistens das Beste.
    Wir sollten wieder mutig werden und auch mutig Entscheidungen treffen, nur so ist ein selbst bestimmtes Leben möglich. Prioritäten setzen, unterschiedliche Medien nutzen, eigene Interessen vertiefen und auch mal ein Buch lesen, das führt zu mehr Ausgewogenheit.
    Oft ist es so, dass die Betroffenen selbst gar nicht merken, wie weit sich ihr Internetproblem schon entwickelt hat, dementsprechend sehen sie auch keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. Eine Psychotherapie würde hier nicht funktionieren, denn nur wer selbst erkennt, dass er Hilfe braucht, ist auch motiviert, durch aktives Mitmachen das Problem anzugehen. Zudem muss erwähnt werden, dass je ausgeprägter die psychische Komorbidität (das Auftreten mehrerer psychischer Erkrankungen) ist – z. B. Angststörungen kombiniert mit einer Depression – , desto geringer sind die Erfolgsaussichten.
    Familienangehörige und Partner können eine Menge dazu beitragen, dass man sich wohlfühlt. Sich einzugestehen, dass im Familienleben oder in der Partnerschaft etwas nicht stimmt, kostet viel Überwindung. Wichtig ist die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert wird. In der Regel werden dem Betroffenen oft heftige Vorwürfe gemacht, oder das Internet wird abgemeldet. Drohen, belehren, schimpfen bringt gar nichts, so meine Erfahrung. Wenn man dem
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