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Keine E-Mail fuer Dich

Keine E-Mail fuer Dich

Titel: Keine E-Mail fuer Dich
Autoren: Franziska Kuehne
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mich an das letzte Gossip-Konzert. Nach jedem Song nahm Beth Ditto einen Schluck Wein zu sich, um anschließend ins Mikrofon zu rülpsen. Eine nette Patientin hatte mich vorgewarnt: »Beth Ditto zieht sich gern auf der Bühne aus.« Sie tat es Gott sei Dank nicht und vermied es, uns ihre geschätzten hundert Kilo in voller Pracht zu zeigen. Ich gebe ihren Namen bei Google ein und finde ein putziges Foto: Beth Ditto zu Gast bei »Wetten dass…?«. Bildunterschrift: »Beth Ditto sitzt auf Hansi Hinterseer – es gab keine Verletzten.« Die beiden hatten offenbar keine Berührungsängste.
    Wann habe ich eigentlich zuletzt aus Langeweile im Netz herumgesurft? Ich erinnere mich nicht so richtig. Letzte Woche habe ich online Flüge gebucht, eine tolle Erfindung! An sozialen Netzwerken, Communities und Foren habe ich persönlich wenig Interesse. Das Lesen von Tageszeitungen im Internet fällt mir schwer. Nach kurzem Erfassen der Überschriften landet man auf vielen anderen Seiten. Die Masse der Informationen überrollt mich. Man weiß gar nicht, was man zuerst lesen soll. Hier ein Link, da noch ein Banner, ein plötzliches Aufspielen von Musik – woher nehmen die Menschen die Zeit, um online zu sein und das alles zu nutzen, und was macht »es« mit uns, frage ich mich?
    Ich habe noch eine halbe Stunde Ruhe. Zeit, mich etwas zu erden, bevor die nächsten Klienten kommen. Ich klappe den Laptop zu, ziehe meine Schuhe aus, setze mich auf meinen dunklen Holzfußboden und lege die Arme beiseite. Es folgen zehn Minuten Meditation. Ich schließe die Augen, völlige Stille umgibt mich, nur mein Magen knurrt. Ich atme tief, und vor meinen geschlossenen Augen sehe ich die Farben Blau und Rosa, dann einen Regenbogen, bunte Kreise, die sich langsam drehen. Ich bin ganz ruhig und kann spüren, wie mein Kopf ganz leicht wird. Ich stelle mir vor, wie ich wieder in unserem Kirschbaum sitze. Die Blätter rauschen, und an den Zweigen hängen dunkelrote pralle Früchte. Als Kind habe ich sie mir oft an die Ohren gehängt, ich liebte meine Kirsch-Ohrringe. Dann liege ich im Gras, starre in den Baum und in den blauen Himmel. Ich rieche die Wiese, atme die frische Luft ganz tief ein, pflücke Gänseblümchen, flechte einen Blumenkranz – das Leben ist schön. Mir kommt spontan eine Patientin in den Kopf, gerne möchte ich sie mit auf eine Wiese nehmen und ihr eine Blume unter die Nase halten.
    Ich atme noch einmal ganz tief mit geschlossenen Augen und stehe dann langsam wieder auf, zupfe mir meine Hose zurecht und wage einen Kontrollblick in den Spiegel. Etwas erschöpft sehe ich aus, meine blauen Augen schauen mich etwas müde an. Ich kämme mein langes Haar und zücke meinen Lippenstift. Die Therapeutin sieht wieder aufgeräumt aus, sagt das Spiegelbild. Der nächste Patient kann kommen.

DIE QUAL DER WAHL
    Über das Durcheinander der vielen Kommunikationsmöglichkeiten
    D ie private Kommunikationskultur hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Es gibt heute mindestens zehn verschiedene Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten: Festnetztelefon, Handy, SMS , MMS , E-Mail, Skype, Windows Messenger oder digitale soziale Netzwerke wie Facebook, Xing und Twitter. Aber sind diese Netzwerke im Internet überhaupt so »sozial«, wie sie behaupten? Führen die Neuen Medien wirklich mehr Menschen zusammen? Wenn ich gerne telefoniere und Sie gerne SMS schreiben, dann haben wir beide ein Kommunikationsproblem.
    Das »Online-Stalking« ist auf dem Vormarsch. Anstatt sich im realen Leben mit ihren Konflikten auseinanderzusetzen, flüchten die Menschen im Internet in soziale Netzwerke. Bei meiner Arbeit stelle ich mit Schrecken fest, dass vor allem bei Trennungen die Internetnutzung krankhafte Züge annimmt. Fotos und »Beziehungsstatus« werden dann in sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook fast täglich abgerufen, Expartner aus »Freundeslisten« gelöscht. Auch Bewegungsprofile von Menschen werden im Internet oder über das Handy verfolgt. Manch einer verkraftet dies psychisch nicht, sogar Suizidgedanken kommen auf.
    Internetportale für die Partnersuche boomen, weil die meisten Menschen im realen Leben nicht mehr fähig sind, mit anderen in Kontakt zu treten. Weil sie sich keine Zeit dafür nehmen wollen oder können. Warum auch einen Menschen in Ruhe kennenlernen, wenn man die gewünschten Eigenschaften mit drei Klicks in den entsprechenden Portalen »abchecken« kann? Alles muss schnell, effektiv und zeitsparend passieren. Es wird
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