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Keine E-Mail fuer Dich

Keine E-Mail fuer Dich

Titel: Keine E-Mail fuer Dich
Autoren: Franziska Kuehne
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ist. Er sitzt allein in seinem Kämmerlein, sein Gegenüber ist nur eine digitale Maschine.
    Zu Beginn des Internetzeitalters bestand das Netz nur aus einem Sender, der seine Botschaften über Webseiten und Links an Empfänger richtete. Der Empfänger war ein passiver Nutzer. Im Web 2.0 wird er dagegen auch zum Sender und vom passiven zum aktiven Internetnutzer. Täglich werden eigene Inhalte online gestellt, Bilder, Videos und Musik hochgeladen, Beiträge in Blogs verfasst. Mit der aktiven Webgestaltung wird das Bedürfnis nach Anerkennung befriedigt, und es stellt sich ein Erfolgsgefühl ein.
    Das Web 2.0 erlaubt die Selbstdarstellung in Online-Foren und sozialen Netzwerken. Es ist eine Form von Identitätsbildung und -gestaltung. Das Auftreten in Internetforen, die Herausbildung fiktiver Online-Identitäten wird in zunehmendem Maße zum Imageaufbau genutzt. Oft werden mehrere Identitäten entwickelt: die reale Identität und eine oder mehrere parallel existierende Online-Identitäten. Man kann online mit Identitäten spielen. Wir leben in einer Gesellschaft mit hohem Individualisierungsanspruch. Daher ist es schwierig, zu einem stabilen Selbstkonzept zu gelangen.
    Selbst Handys werden zum Imageaufbau genutzt. Wer diese benutzt, wird eine andere Person, er zeigt veränderte Verhaltensweisen. Es wird versucht, bestimmte Bilder von sich selbst zu erzeugen, denn von anderen werden wir dabei beobachtet. Digitale Geräte helfen und sind für viele Menschen förderlich, um ein Image zu kreieren. Diese Selbstdarstellung soll beim Beobachter den bestmöglichen Eindruck hinterlassen. Es entstehen bestimmte Interaktionsmuster und Verhaltensstrategien, um damit einen Appell an den anderen zu richten, z. B. wie wir und was wir in Textnachrichten schreiben, oder wenn wir uns ganz verweigern, dem anderen zu antworten.
    Eine Klientin erzählt mir, sie habe ihrer neuen Männerbekanntschaft eine SMS geschickt, dieser hätte sich aber seit mehreren Tagen nicht gemeldet. Sie werde sich ebenfalls nicht bei ihm melden, denn sonst würde er noch denken, sie wolle »etwas« von ihm. Es sei doch heute normal oder eine unausgesprochene Regel, dass man warte, bis sich der andere meldet. Kommunikation müsse immer wechselseitig passieren. Merkwürdigerweise leide sie darunter. Als ich ihr vorschlage, ihn doch einfach anzurufen, lehnt sie dies energisch ab, ihre Nicht-Meldung soll ihm ihre Gleichgültigkeit signalisieren. Ihre eigene Angst steht ihr im Weg.
    Wir benutzen digitale Geräte, um uns jeden Tag neu zu inszenieren. Jemand, der ständig sein Handy am Ohr hat, demonstriert anderen, dass er wichtig und gefragt ist. Sein Verhalten soll vermitteln, dass er sozial integriert und begehrenswert ist. Oft fällt auf, wie Menschen sich permanent mit ihrem Handy beschäftigen und z. B. SMS schreiben. Sogar Telefonate werden simuliert, um aus einer Situation in der Realität, in der sich jemand unwohl fühlt, zu flüchten. Jemand, dem es unangenehm war, mir auf der Straße über den Weg zu laufen, hielt sich einfach sein Handy ans Ohr, ich grüßte trotzdem höflich.
    Auch Klingeltöne sind Teil der Selbstinszenierung, denn damit soll das eigene Image gezielt unterstrichen werden. Hört man in der Bahn einen schönen oder bekannten Klingelton, bekommt derjenige sofort die volle Aufmerksamkeit. Bei Berlin, du bist so wunderbar. Berlin … denken gleich alle, der ist ja »hip«, weil er den Klingelton eines Werbespots mit sich rumträgt. Auf Partys werden per Bluetooth Klingeltöne ausgetauscht, schließlich gilt es, die eigene Inszenierung stetig zu perfektionieren. Das Handy als Multifunktionsgerät ist selbstverständlich, wir nehmen es sogar mit ins Bett. Wenn wir es verlieren, ist die Aufregung groß: Telefonkontakte, Termine, Fotos, SMS , Musik – alles weg, es sei denn, der technisch pfiffige Besitzer hat eine Sicherungskopie gemacht und alles mit seinem Rechner synchronisiert. Die US-Soziologin Sherry Turkle traf einen Jugendlichen, der sagte, dass der Verlust des iPhones sich angefühlt habe, als ob jemand gestorben sei, er seinen Kopf verloren hätte. Dieses große Verlustempfinden ist mittlerweile ganz normal. Das personalisierte Gerät gehört wie selbstverständlich zu uns, sodass wir es als alltäglich wahrnehmen. Es prägt unser Verhältnis zur Umwelt, es verändert Raum, Situation und die Menschen in ihren Beziehungen zueinander. Geistige Präsenz und körperliche Anwesenheit fallen oft stark auseinander. Man ist zwar anwesend,
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