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Keine E-Mail fuer Dich

Keine E-Mail fuer Dich

Titel: Keine E-Mail fuer Dich
Autoren: Franziska Kuehne
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Konditionierung. In Anwendung auf den Menschen reduziert Pawlow die Psyche auf das reflexhafte, reagierende Verhalten, denn im Zusammenhang von Reiz und Reflex liegt für ihn die Erklärung von Verhalten. Im Pawlow’schen System wäre der Computer ein bedingter Reiz, auf den die Menschen mit Aufmerksamkeit reagieren. Je häufiger sich neue Informationen, E-Mails usw. ankündigen, desto stärker widmet der Mensch seine ganze Aufmerksamkeit dem Rechner. Ein Kommunikationsjunkie ist also klassisch auf seine Geräte konditioniert.
    Eine Konditionierung ist ein Assoziationslernen bzw. ein Reiz-Reaktions-Lernen. Lernen ist ein Veränderungsprozess, der als Konsequenz individueller Erfahrungen zu betrachten ist. Durch Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten resultieren langfristige Veränderungen im Verhalten des Menschen.
    Eine SMS kommt an, und fast jeder schaut sofort nach, wer geschrieben hat. Das Bedürfnis nach eigener Wichtigkeit für andere Menschen wird so mit technischen Kommunikationsmitteln sofort befriedigt.
    Bedürfnisse und subjektive Erwartungen nehmen einen zentralen Stellenwert in der Motivationspsychologie ein. Bedürfnisse wie z. B. Sicherheit, soziale Kontakte, Anerkennung, Wertschätzung und Selbstverwirklichung sind Leitmotive für menschliches Verhalten. Werden Bedürfnisse nicht befriedigt, entsteht ein Mangel, Menschen fühlen sich unwohl, sind unzufrieden. Durch das Internet und seine vielen Kommunikationsmöglichkeiten werden Bedürfnisse befriedigt. Es handelt sich allerdings nur um eine kurzfristige Bedürfnisbefriedigung, die aber einfach, schnell und effektiv ist.
    Nachrichten, auch der Austausch und Handel von Informationen, das virtuelle soziale Netzwerk und die Selbstdarstellung eines Profils unterliegen einem immer kürzeren Produktlebenszyklus. Fast täglich muss etwas Neues her. Wir alle produzieren diesen Wahnsinn tagtäglich mit, das ist für viele anstrengend.
    Lenkt sich die Aufmerksamkeit meist auf die digitale Welt, entziehen wir unseren Mitmenschen Zeit und Aufmerksamkeit. Bedürfnisse werden in der realen Welt dadurch seltener befriedigt, oder das, was ich will, ist von meinen Mitmenschen schwieriger zu bekommen – ein anstrengender Teufelskreis. Bei meiner Arbeit als Therapeutin stelle ich immer wieder fest, wie schwer es für viele ist, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und auszusprechen. Oft heißt es: »Mein Freund müsste doch wissen, was ich möchte, schließlich sind wir schon zehn Jahre zusammen.« Der Freund muss also hellsehen, damit seine Freundin zufrieden mit ihm ist. Meist werden Bedürfnisse ganz verschwiegen oder oft negativ formuliert: »Das kannst du doch nicht mit mir machen. Das geht doch nicht, dass du ständig auf Facebook mit dieser Tussi chattest. Belüg mich nicht. Betrüg mich nicht.« Wenn ich dann frage, was die Patientinnen denn stattdessen möchten, füllt sich der Raum oft mit Schweigen. Sie wissen es einfach nicht, darüber hätten sie sich noch nie Gedanken gemacht.
    Wenn Sie mich heute Abend in Ihre Küche einladen, mich fragen, was ich denn trinken möchte, und ich Ihnen dann erzähle, dass ich keinen Wein, keinen Schnaps, kein Bier und kein Wasser trinke, wissen Sie dann, was ich gerne trinke? Natürlich nicht, Sie fangen an zu rätseln und zu vermuten. Komme ich dann zu Ihnen nach Hause, setze mich an Ihren Küchentisch, und Sie stellen mir dann ein Glas Apfelsaft vor die Nase, entgleisen mir wahrscheinlich meine Gesichtszüge, denn ich mag auch keinen Apfelsaft. Sage ich Ihnen aber stattdessen vorher, dass ich gerne ein großes kaltes Glas leckere Milch haben möchte, bin ich voll und ganz befriedigt, freue mich, mit Ihnen bei einem Glas Milch an Ihrem Küchentisch zu sitzen, und Sie freuen sich, dass ich mich freue.
    Wenn ich Bedürfnisse nicht erkennen und formulieren kann, das noch nie getan habe, muss ich das lernen und am realen Menschenobjekt üben und trainieren. Da komme ich einfach nicht drum herum. Die digitale Welt ist kein Ersatz dafür.
    In einem Zeitraum von zehn Jahren hat trotz Internet der Konsum von Fernsehen und Radio nicht abgenommen. Es ist somit zu einer rasanten Ausdehnung der Gesamtbeschäftigungszeit mit Medien gekommen. Darum kann man von einem permanenten medialen Grundrauschen im Alltag sprechen. Um uns herum ist ein ständiges Geplapper, darum fühlt sich der Normalbürger erst mal auch nicht alleine. Die Auswirkungen auf unsere Seele sind erst in Ansätzen erforscht. Die Stille ist für viele nicht zu
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