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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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Anakonda ist immerhin die größte Schlange der Erde!
    Die beiden Exemplare hatten meinen Weg rein zufällig gekreuzt. Meine erste Anakonda lag mehrfach überrollt, blutig und zerquetscht im Straßenstaub. Ein überaus trauriger Augenblick im Leben eines angehenden Reptilienforschers. Ich hatte sie zunächst nicht einmal als Schlange wahrgenommen, als ich mit dem Jeep eine Vollbremsung machte, um nicht auch noch über den großen, langen Gegenstand auf der Piste zu brettern. Sie war etwas über drei Meter lang. Ich wusch ihr dann den Schmutz vom Kopf, legte sie schlangenförmig neben die Straße und schoss einige Fotos.
    Ein paar Tage später bremste ich erneut abrupt ab. Emsige Tätigkeiten folgten: Ich riss die Tür des Jeeps auf und streifte mir im Hinauslaufen meinen Fanghandschuh für größere Schlangen über die Hand. Eine knapp zwei Meter lange Anakonda überquerte gerade die Piste. Fast hätte ich sie überfahren, beherzt griff ich nun zu. Natürlich wusste ich, dass Anakondas nicht giftig sind. Ich umfasste ihren Nacken, ihre Beißversuche blieben erfolglos. Stattdessen wickelte sie sich um meinen Arm und übte kräftig Druck darauf aus. Sie dankte mir mein Interesse, indem sie ein äußerst übel riechendes weißes Analsekret abließ. Noch lange nachdem ich die Anakonda wieder freigelassen hatte, hielt ich deshalb den Arm aus dem Fenster des Jeeps.
    Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass diese zwei anscheinend gewöhnlichen Anakondas die Initialzündung zu meiner Doktorarbeit sein würden: Das Thema Anakondas hatte mich gepackt! Erst konnte ich es nicht fassen, dass weder die Verbreitung der einzelnen Arten annähernd erforscht war, noch, wie viele Arten überhaupt existieren. Die beiden Anakondas aus Bolivien stellten sich sogar als neue Art heraus.
    Grundlagenforschung findet zum größten Teil in den Forschungseinrichtungen dieser Welt statt. Viele Fragestellungen in Bezug auf die Anakondas ließen sich jedoch nur beantworten, indem ich zu ihnen nach Südamerika reiste. Es ist, jenseits von Fachbüchern und Computern, immer diese unmittelbare Nähe zu ihnen in schlammigen Flüssen und Seen gewesen, die für mich den besonderen Reiz meiner Forschungsprojekte ausgemacht hat: Ich bin dann mitten unter ihnen im wilden Amazonien, hinterlasse meine Fußabdrücke in ihren schlangenförmigen Spuren, trinke das Wasser, in dem sie leben.
Der perfekte Platz
    Das Prasseln des Regenschauers hat schlagartig aufgehört. Die Sonne taucht den Fluss wieder in gleißendes Licht. Wallende Dunstschwaden steigen jetzt aus dem feuchten Urwald auf und lassen die Umrisse der Bäume mehr oder weniger durchschimmern, je nachdem, wie weit sie von uns entfernt sind. Ich denke an die Dampfhölle des Planeten Jupiter. Allerdings ist die Stimmung friedlich und ruhig wie in einer Traumlandschaft oder einem verwunschenen Märchen. Bei Einsetzen des tropischen Regengusses hatten wir schnell an einer Uferböschung festgemacht und uns abwartend unter eine Plane gekauert. Als die Regenwolken ausgewrungen sind und nur noch letzte Nachzügler ins Wasser ploppen, luge ich unter der Plane hervor. Was ich erblicke, lässt mich einen tiefen Seufzer ausstoßen.
    Ganz in der Nähe sehe ich eine Landzunge, die in samtenes Sonnenlicht gehüllt ist. Das Ufer ist halb mit einer angespülten Sandbank, halb mit einem kurz geknabberten Kräuterrasen bedeckt. Meistens sind es Wasserschweine, die das frische, zarte Grün am Wasserrand abweiden. Die wiederum sind ein begehrter Happen für größere Anakondas. Inmitten dieser einladenden Landzunge ist ein Baum ins Wasser gestürzt, von dem nur noch das Gerippe der dickeren Äste vom Stamm absteht. Lediglich seine ehemals obere Hälfte taucht in das Wasser ein. Besser geht es nicht. Da ist er, der optimale Platz. Es kann gar nicht anders sein, hier muss einfach eine Anakonda hausen. An einem solchen Ort fühlt sie sich wohl, ich weiß es genau, ich spüre geradezu ihre unsichtbare Präsenz.
    Doch es ist keine Anakonda in Sicht. Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit ist sie wohl ausgerechnet in diesem Augenblick ausgeflogen. Ich bin mir sicher, vor dem Regen war sie noch da. Bestimmt hat sie ausgerechnet jetzt eine Beute erspäht, der sie sich tauchend nähert. Wer will es ihr verdenken, dass sie sich einen gehaltvollen Happen holt, der ihr den Magen füllt? Anakondas sind an das Leben im Wasser angepasst. Sie schwimmen exzellent und können lange tauchen. Nasenöffnungen und Augen liegen wie bei den
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