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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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vielleicht empfinden die Weibchen es weniger als Kratzen denn als erregende Massage, die sie empfänglicher werden lässt? Einer anderen Theorie zufolge soll das Bewegen der Sporne dazu dienen, die Spermapfropfen der Vorgänger zu entfernen. Vielleicht ist ja an beiden Hypothesen ein Funke Wahrheit dran.
    Männchen suchen aktiv nach möglichst großen Weibchen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Ein großes Weibchen kann mehr und größere Nachkommen produzieren. 81 junge Schlangen sind schon gezählt worden, denn Anakondas sind lebend gebärend. Aber auch die Weibchen sind aktiv an der Auswahl der Männchen beteiligt, denn sie positionieren bevorzugte Männchen an optimaler Stelle, indem sie diese mit ihrem Schwanz festhalten. Von anderen Schlangenarten ist bekannt, dass die Weibchen ihre Kloake verschließen können, wenn ein Männchen nicht gefällt. Das dürfte den Anakonda-Weibchen auch in den Kram passen. Immerhin bevorzugen sie größere Männchen. Warum aber sind dann die Männchen im Verhältnis zum Weibchen so viel kleiner? Größere Männchen haben doch einen Selektionsvorteil! Es muss also noch einen anderen Faktor geben, der die Größe der Männchen begrenzt. Dazu gibt es folgende These: Da größere Männchen versehentlich von kleineren für Weibchen gehalten und umschlungen werden, kommen diese nicht zum Zug. Daraus ergäbe sich ein Nachteil für zu große Männchen. Die optimale Größe hätte deshalb ein Männchen, das möglichst groß, aber immer noch klein genug ist, um nicht von den Konkurrenten versehentlich für ein Weibchen gehalten und umärmelt zu werden.
    Wir verstauen die Plane, die uns vor dem Tropenregen geschützt hat, starten den Außenborder und legen ab. Sehnsuchtsvoll schaue ich zurück zu dem perfekten Anakonda-Platz, bis er hinter der nächsten Flussbiegung verschwindet. Monoton lärmen die Motoren, während wir erneut dem mäandernden Flusslauf folgen. Kehre um Kehre. Wenn wir nicht in der Mitte des Flusses fahren, hören wir die Wellen ans Ufer klatschen, die unser Boot verursacht. Das Kreischen der davonfliegenden Papageien verkündet unser Kommen schon lange im Voraus. Das stört uns aber nicht, schließlich können Schlangen nicht hören.
Anakonda-Flimmern
    Plötzlich drosselt Bootskapitän Mick den Motor. Als wir die Ursache für den Halt erkennen, ist es wie ein Fieberschub, der uns für einen existenziellen Kampf pusht. Endlich haben wir sie entdeckt, die Königin der Seen und Flüsse Südamerikas! Ein kleines Stück voraus liegt eine Anakonda am Ufer. Ein gigantisches Prachtexemplar! Wir sind noch weit entfernt, doch je näher wir kommen, desto begeisterter sind wir: Sie ist exorbitant groß, eine monumentale Wuchtbrumme. Wir sind total aus dem Häuschen! Sie ist der Grund unserer Reise und das Ziel unserer Sehnsüchte. Der erhoffte Sechser im Lotto, und zwar mit Zusatzzahl. Jetzt müssen wir nur noch näher an sie herankommen, bevor sie in die Unsichtbarkeit des braunen Wassers entfleucht.
    Unter Experten ist man sich einig, dass es besonders mächtige Exemplare der Großen Anakonda kaum noch in der Nähe von Menschen gibt. Im Gegensatz zu Säugetieren wachsen Reptilien zeit ihres Lebens. Insbesondere Riesenschlangen legen auch nach der Geschlechtsreife noch kräftig zu. Proportional zu ihrer Größe wächst leider auch die Angst der Menschen vor ihnen, ob nun begründet oder nicht. Der Mensch schafft sich seine Umwelt, und was er für gefährlich hält, wird ausgemerzt. In Mitteldeutschland hat er Wolf und Bär ausgerottet, in Südamerika tötet er die großen Anakondas.
    An ihrer Größe erkenne ich sofort, dass es sich um ein Weibchen handelt. Männchen erreichen selten mehr als eine Länge von drei Metern, niemals jedoch die Größe des Weibchens, das wir aus vielleicht 50 Metern Entfernung sehen. Auch ist die Anakonda viel zu massig für ein Männchen. Weibchen wiegen ein Vielfaches der Männchen. Es heißt sogar, dass von allen Landwirbeltieren bei Anakondas der größte Gewichtsunterschied zwischen den Geschlechtern besteht.
    Unser Prachtexemplar sonnt sich auf einer flachen, lehmigen Stelle unter einer steil abfallenden, bröckeligen Uferböschung. Direkt neben ihr stehen große Sträucher, deren teils unterarmdicke, überhängende Äste weit in den Fluss hineinragen. Das Geäst verdeckt sie teilweise, ihr Kopf ist für uns nicht zu sehen. Dieser schmuddelige Platz entspricht so gar nicht unseren Vorstellungen von einem perfekten Liegeplatz. Aber das ist jetzt
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