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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Autoren: Harlan Coben
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blinzelte, und die Bilder und Geräusche waren verschwunden. Ich erinnerte mich jedoch daran, wie das Freudengeheul und das Aufklatschen in der Stille unseres Sees verklungen waren, und fragte mich, ob der Nachhall jemals ganz erstarb oder ob im Wald noch immer irgendwo das Echo des väterlichen Gejohles zwischen den Bäumen herumirrte. Alberner Gedanke, aber was soll man machen.
    Sehen Sie, Erinnerungen tun weh. Besonders die schönen.
    »Alles in Ordnung, Beck?«, fragte Elizabeth.
    Ich drehte mich zu ihr um. »Ich werde flachgelegt, ja?«
    »Ferkel.«
    Sie ging mit hoch erhobenem Kopf und kerzengeradem Rücken den Pfad entlang. Ich sah ihr einen Augenblick nach und dachte daran, wie ich diesen Gang zum ersten Mal gesehen hatte. Ich war sieben und raste auf meinem Fahrrad - das mit dem Bananensattel und dem Batman-Abziehbild - die Goodhart Road hinunter. Die Goodhart Road war steil und kurvig, eine ideale Strecke für den anspruchsvollen Bonanza-Rad-Fahrer. Ich rollte freihändig bergab und fühlte mich so cool und hip, wie man sich als Siebenjähriger nur fühlen konnte. Der Fahrtwind wehte mein Haar nach hinten und trieb mir Tränen in die Augen. Ich sah den Umzugswagen vor dem Haus, das früher den Ruskins gehört hatte, drehte mich kurz um, und - peng - da war sie, meine Elizabeth mit ihrem Titan-Rückgrat-Gang. Schon damals als Siebenjährige so selbstsicher, in Spangenschuhen, mit einem Freundschaftsarmband und viel zu vielen Sommersprossen.
    Zwei Wochen später begegneten wir uns in der zweiten Klasse von Miss Sobel wieder, und von diesem Augenblick an - bitte verdrehen Sie nicht die Augen, wenn ich das jetzt sage - waren wir Seelenverwandte. Die Erwachsenen fanden unsere Beziehung so niedlich wie anormal, als sich die unzertrennliche Kinderfreundschaft der wilden Ballspiele auf der Straße über Jugendschwärmerei in eine pubertäre Bindung verwandelte und in hormonell gesteuerte Verabredungen auf der Highschool mündete. Alle warteten darauf, dass wir einander überdrüssig wurden. Sogar wir. Wir waren beide kluge Kinder, besonders Elizabeth, hervorragende Schüler, die selbst im Hinblick auf ihre irrationale Liebe nie ihre Rationalität einbüßten. Wir wussten, wie unsere Chancen standen.
    Aber hier standen wir nun, zwei Fünfundzwanzigjährige, seit sieben Monaten verheiratet, an dem Ort, an dem wir uns als Zwölfjährige zum ersten Mal richtig geküsst hatten.
    Schrecklich, ich weiß.
    Wir schoben uns an Zweigen vorbei durch die feuchte, zum Schneiden dicke Luft. Süßlicher Kiefernduft umgarnte uns. Wir stapften durchs hohe Gras. Mücken und andere Insekten stiegen in Scharen hinter uns auf. Die Bäume warfen lange Schatten, die man interpretieren konnte, wie man wollte - wie Wolkenformen oder Rorschachs Tintenkleckse.
    Wir verließen den Pfad und kämpften uns durchs Unterholz. Elizabeth ging voran. Ich folgte ihr mit zwei Schritten Abstand, ein nahezu symbolischer Akt, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Ich glaubte immer, nichts und niemand könne uns trennen - das hatte die Vergangenheit ja gezeigt, oder? -, doch mehr denn je spürte ich, wie sich die Schuld zwischen uns drängte.
    Meine Schuld.
    Vor mir wandte Elizabeth sich an dem großen, etwas phallischen Felsen nach rechts, und dort stand er. Unser Baum. Unsere Initialen waren in die Rinde geritzt:
    E.P.
    +
    D.B.
    Und natürlich umrahmte sie ein Herz. Unter dem Herz befanden sich zwölf Striche; für jeden Jahrestag unseres ersten Kusses einer. Ich wollte gerade eine dumme Bemerkung darüber machen, wie kitschig das war, aber als ich Elizabeth ins Gesicht sah - die Sommersprossen waren verschwunden oder dunkler geworden, das hübsche Kinn, der lange, graziöse Hals, der klare Blick ihrer grünen Augen, der dunkle, geflochtene Zopf, der ihr wie ein dickes Seil den Rücken hinabhing -, ließ ich es sein. Fast hätte ich es ihr auf der Stelle erzählt, aber irgendetwas hielt mich zurück.
    »Ich liebe dich«, sagte ich.
    »Du wirst doch schon flachgelegt.«
    »Oh.«
    »Ich liebe dich auch.«
    »Ist ja gut, schon okay«, sagte ich und tat entrüstet, »du wirst ja auch flachgelegt.«
    Sie lächelte, aber ich meinte, ein kurzes Zögern darin erkannt zu haben. Ich nahm sie in den Arm. Als sie zwölf war und wir endlich den Mut aufgebracht hatten zu knutschen, duftete sie wunderbar nach frisch gewaschenen Haaren und Erdbeer-Brausepulver. Die Neuartigkeit dieses Geruchs, die Aufregung dieser Entdeckung, hatte mich natürlich überwältigt. Heute
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