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Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One

Titel: Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Autoren: Harlan Coben
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sie. Die Leiter. Ich griff zu, hievte mich hoch, stieg aus dem Wasser. Der Steg war nass von Elizabeth. Ich sah zur Hütte hinüber. Zu dunkel. Ich konnte nichts sehen.
    »Elizabeth!«
    Etwas in der Art eines Baseballschlägers traf mich direkt in den Solarplexus. Die Augen traten mir aus dem Kopf. Ich klappte zusammen und glaubte zu ersticken. Keine Luft. Noch ein Schlag. Diesmal direkt auf den Schädel. Ich hörte, wie es in meinem Kopf knackte. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand einen Nagel in die Schläfe getrieben. Meine Beine gaben nach, und ich fiel auf die Knie. Vollkommen desorientiert legte ich die Hände seitlich an den Kopf, um mich zu schützen. Der nächste Schlag - der letzte Schlag - traf mich mitten ins Gesicht.
    Ich fiel nach hinten und stürzte wieder in den See. Ich hatte die Augen geschlossen. Noch einmal hörte ich Elizabeth schreien - diesmal schrie sie meinen Namen -, aber der Schrei, wie auch alle anderen Geräusche, erstarb, als ich gurgelnd im Wasser versank.

Acht Jahre später

1
    Ein anderes Mädchen war dabei, mir das Herz zu brechen.
    Sie hatte braune Augen, krauses Haar und zeigte viele Zähne, wenn sie lächelte. Außerdem trug sie eine Zahnspange, war 14 Jahre alt und …
    »Bist du schwanger?«, fragte ich.
    »Ja, Dr. Beck.«
    Es gelang mir, nicht die Augen zu schließen. Ich saß nicht zum ersten Mal einem schwangeren Teenager gegenüber. Es war nicht einmal das erste Mal an diesem Tag. Seit ich vor fünf Jahren meine Facharztausbildung am nahe gelegenen Columbia-Presbyterian-Medical-Center abgeschlossen habe, arbeite ich als Kinderarzt hier in dieser Klinik in Washington Heights. Wir bieten den über Medicaid Versicherten (sprich: Armen) Allgemeinmedizin einschließlich Geburtshilfe, innere Medizin und natürlich Kinderheilkunde. Daher halten mich viele für einen unheilbaren barmherzigen Samariter. Das bin ich nicht. Ich bin gern Kinderarzt. Aber ich wollte nun wirklich nicht in den besseren Vororten mit den Tennis spielenden Müttern, den manikürten Vätern und, nun ja, Menschen wie mir arbeiten.
    »Was hast du vor?«, fragte ich.
    »Ich und Terrell, wir sind echt happy, Dr. Beck.«
    »Wie alt ist Terrell?«
    »Sechzehn.«
    Sie lächelte mich freudestrahlend an. Wieder gelang es mir, nicht die Augen zu schließen.
    Mich überrascht dabei immer wieder - jedes Mal aufs Neue -, dass die meisten dieser Schwangerschaften keineswegs unbeabsichtigt sind. Diese Kinder wollen Kinder bekommen. Das begreift keiner. Alle reden über Verhütungsmethoden und sexuelle Enthaltsamkeit, und das ist ja alles schön und gut, doch die Wahrheit ist, dass die coolen Freundinnen und Freunde dieser Kids Kinder kriegen und damit im Mittelpunkt stehen, also: Hey, Terrell, was ist mit uns?
    »Er liebt mich«, verkündete mir diese 14-Jährige.
    »Hast du es deiner Mutter schon gesagt?«
    »Noch nicht.« Sie wand sich, und dabei sah man ihr fast jedes ihrer 14 Jahre an. »Ich hab gedacht, dass Sie mir vielleicht dabei helfen.«
    Ich nickte. »Klar.«
    Ich habe gelernt, nicht zu urteilen. Ich höre zu. Ich bin einfühlsam. Als Assistenzarzt hätte ich ihr eine Standpauke gehalten. Ich hätte von hoch oben auf sie herabgeblickt, der Patientin mein Wissen zuteil werden lassen und ihr erklärt, wie selbstzerstörerisch ihr Verhalten war. Aber an einem kalten Nachmittag in Manhattan hatte eine erschöpfte 17-Jährige, die ihr drittes Kind vom dritten Mann erwartete, mir direkt in die Augen gesehen und eine unwiderlegbare Wahrheit ausgesprochen. »Sie wissen nichts über mein Leben.«
    Damit brachte sie mich zum Schweigen. Seitdem höre ich zu. Ich habe aufgehört, den Großen Weißen Wohltäter zu spielen, und bin so zu einem besseren Arzt geworden. Ich werde dieser 14-Jährigen und ihrem Baby die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen lassen. Ich werde ihr nicht erzählen, dass Terrell nicht bei ihr bleiben wird, dass sie gerade ihre Zukunft zerstört hat, dass sie, falls sie sich nicht grundlegend von unseren anderen Patientinnen unterscheidet, vermutlich noch zweimal in ähnlichem Zustand hier erscheinen wird, bevor sie zwanzig ist.
    Wenn man zu lange darüber nachdenkt, dreht man durch.
    Wir unterhielten uns eine Zeit lang - genauer gesagt: Sie redete, und ich hörte zu. Das Untersuchungszimmer, das mir gleichzeitig auch als Büro diente, war ungefähr so groß wie eine Gefängniszelle (nicht dass ich das aus eigener Erfahrung gewusst hätte) und in einer Art Behördengrün gestrichen -
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