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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven
Autoren: Heyne
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Katastrophe hilflos oder untätig beiwohnen zu müssen. Hier rutschen wir selber in so eine Situation. Und natürlich ist es richtig, wenn man sagt, dass wir gar nicht untätig und hilflos sind, wir putzen doch sehr hilfreich und sehr tätig die Wohnung. Aber das ist eben nur relativ: Wenn man das mit der Wohnung von der lange liegenden Leiche vergleicht, in der wir allenfalls gelegentlich mal dem Hausmeister begegnen, ist der Kontakt mit den erschütterten Angehörigen eine ganz andere Katastrophe. Und das Gehirn rechnet da knallhart mit, führt sozusagen Buch: größere Katastrophe – größere Hilfe, das verlangt das Gehirn ganz akribisch für die innere Hygiene.
    Hier wird’s jetzt problematisch: Denn tatsächlich stellen wir fest, dass wir ganz genauso putzen wie anderswo auch, und das Buchhaltergehirn rechnet nach: Größere Katastrophe – trotzdem dieselbe Arbeit, da stimmt was nicht. Das kann nicht genügen!
    Diese Rechnung kriegt man so von seinem Kopf natürlich nicht 1:1 präsentiert – aber man merkt schon, dass irgendwas nicht stimmt, wenn einen die Erinnerungen nicht loslassen. Und dabei ist die nächste Stufe noch nicht mal einkalkuliert.
    Die nächste Stufe sind Gewalttaten. Der Kindermord von Krailling. Der Anwalt. Der Geliebtenmord. Hier kommt noch eine Doppelpackung obendrauf, die der Kopf nur ganz mühsam verdaut. Da ist zuerst mal dieser Einblick in eine Form von Gewalt, die mit unser aller normalem Leben nichts mehr zu tun hat, eine Gewaltform, eine Brutalität und Grausamkeit, deren Existenz wir nie für möglich gehalten hätten, hier, in Deutschland, direkt neben uns. Unter ganz normalen Leuten. Klar, so was liest man gelegentlich in der Zeitung: » Mann erschlägt Frau « , » Frau ersticht Mann«. Aber sogar die Bild-Zeitung kann bei aller plakativen Sprache nicht vermitteln, was dort wirklich passiert ist, wie es wirklich aussieht, wenn Menschen andere Menschen umbringen.
    Und dann ist da noch diese Ungerechtigkeit.
    Wir sehen anhand der Spuren minutiös, wie die Opfer starben. Und wir sind nicht am Schauplatz einer Schießerei zweier gleich krimineller Mafiagangs, wenigstens bisher noch nicht, sondern wir befinden uns an der Stelle, an der schlicht Unschuldige gestorben sind, oft unter grauenhaften Umständen. Das sind Vorgänge, die einen empören, da denkt man nicht nur: » Ach, schade!« oder » Mei, so geht’s«, sondern da denkt man oft genug: » So was darf doch einfach nicht passieren! Das ist nicht fair.«
    Aber wir putzen an solchen Orten genauso wie bei der vergessenen Leiche. Und der Buchhalter im Kopf rechnet heimlich mit, und wenn er bei den Selbstmördern noch sagt: » Du tust zu wenig, Anders!«, dann findet er das bei den Ermordeten erst recht.
    Ich hab’ das dem Dr. Müller-Cyran erzählt. Ich habe ihm auch erzählt, dass ich gelegentlich schon Mittelchen und Auswege gefunden habe. Zum Beispiel beim Fäkalien-Schaufeln. Leser des ersten Buches wissen: Kot macht mir mehr aus als Blut, keine Ahnung, wieso. Und irgendwann bei einem besonders ekligen Einsatz mit einem besonders grauenhaften Klo habe ich dann angefangen zu singen. Ich weiß nicht, warum, vielleicht aus Galgenhumor, vielleicht aus Trotz, plötzlich fing ich an, so wie in einem ganz einfachen Kinderlied:
    » Ich putz’ so gerne Scheiße weg, Scheiße weg, Scheiße weg!«
    Einfach so vor mich hin, in meine Atemschutzmaske.
    » Scheiße schaufeln ist so schön, falleri, fallera!«
    Dr. Müller-Cyran fand das gut. Er nennt das » die Situation umdeuten«. Was eine Variante ist von dem, was immer hilft: Wenn man der Lage nicht ausweichen kann, dann soll man versuchen, sie harmloser hinzustellen, als sie ist, weniger gefährlich, weniger eklig. Und theoretisch müsste das auch bei den Mördern und Selbstmördern klappen. Aber hier stößt die Methode an ihre Grenzen: Die Ungerechtigkeit eines Mordes kann man nicht umdeuten, jedenfalls nicht, wenn man noch halbwegs fühlen möchte wie ein normaler Mensch. Ich kann mir einen Doppelmord an zwei kleinen Mädchen nicht als schöne Bescherung vorstellen, bei denen ein lieber Onkel zu Weihnachten Schokolade mitbringt. Und singen geht da auch nicht.
    Es gäbe schon noch andere Auswege: Was unsere Arbeit so belastend macht, ist der Kontakt mit den Angehörigen. Bei der Polizei, sagt Dr. Müller-Cyran, wird das ganz strikt getrennt. Derjenige, der die Leiche obduziert, hat mit der Familie nichts zu tun. Das wird auf verschiedene Personen verteilt, sodass die emotionale
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