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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven
Autoren: Heyne
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Ich habe sie gefragt, ob sie irgendeine psychologische Betreuung bekäme. Mir war gerade noch eingefallen, dass sie ja kein KIT gehabt hatte, das jemanden wie uns hätte empfehlen können. Und als sie verneinte, habe ich ihr noch über das Münchner KIT einen Psychologen vermittelt. Wir wollten gerade gehen, als vor der Tür ein Auto hielt.
    » Das wird meine andere Tochter sein«, sagte sie, » und der Freund meiner toten Tochter.«
    Sie hatte recht. Es gab noch eine zweite Tochter, die soeben aus dem Wagen ausstieg. Auf der Beifahrerseite hingegen stieg der Freund der Getöteten aus. Ich konnte es kaum glauben, dass er schon wieder auf den Beinen war. Aber es gab kein Vertun, quer über seinen Hals bis fast zum Ohr zog sich eine glühend rote Narbe. Er kam hoch in die Wohnung, betrachtete sie, nickte anerkennend, bis er ins Schlafzimmer kam.
    » Da oben«, sagte er und zeigte zur Decke, » da haben Sie was übersehen.«
    Es war ein kleiner dunkler Klecks.
    » Nein, das glaube ich nicht«, meinte ich, » den haben wir schon gesehen, aber ich wüsste nicht, was das sein soll …«
    » Na, Blut.«
    » Ja, schon klar, aber das passt doch überhaupt nicht zu den anderen Blutflecken. Wie hätte das denn da hinkommen sollen?«
    » Vom Messer. Als er es aus ihrem Rücken gezogen hat. Glauben Sie’s mir, ich weiß es. Ich hab’s ja gesehen.«
    Er zeigte uns die Bewegung des Täters, jede Einzelheit. Wir redeten. Er erzählte uns die gesamte Mordnacht. Dann verabschiedeten wir uns.
    » Ich wünsche Ihnen viel Kraft!«, sagte ich.
    Ich habe die Geschichte tagelang nicht aus dem Kopf bekommen. Und allmählich ist mir aufgegangen, was sich geändert hatte: Ich bekam mehr Aufträge von richtigen Tatorten. Das waren nicht mehr nur noch vergessene Alte, zurückgezogene Trinker. Das waren ganz andere Dimensionen der Gewalt, des Leids als bisher. Das »Belastungsfass « im Kopf, das wir sonst bei unseren Einsätzen becher- und schüsselweise füllten, kippten wir mit solchen Einsätzen geradezu eimerweise voll bis zum Überlaufen.
    Und als mir das klar wurde, habe ich ruckzuck den Andreas Müller-Cyran angerufen.

29 . Kopfsachen II
    Anfangs dachte ich immer, mein Job wäre ein absoluter Glücksfall für alle Beteiligten. Also: Ich helfe den Hinterbliebenen, ich helfe dem Dr. Müller-Cyran, ich mache etwas vollkommen und unbestreitbar Nützliches, und obendrein erlebe ich die spannendsten Geschichten aus erster Hand. Und vielleicht hätte das auch tatsächlich gestimmt, wenn es bei den lange liegenden Leichen geblieben wäre.
    Lange liegende Leichen sind im Grunde Menschen gewesen, die kaum Freunde oder Verwandte hatten, Menschen, die mit ihrem Tod zwar aufzeigen, dass Einsamkeit in Großstädten ein erstaunlich großes Problem ist – aber uns dadurch nichts Neues eröffnen. Diese Toten und ihre Wohnungen – das kannten meine Kollegen und ich ja schon alles von unseren Wohnungsöffnungseinsätzen mit der Feuerwehr. Diese Wohnungen zu reinigen, berührt uns relativ wenig. Man wickelt eben eine weitere, die letzte Etappe im Leben eines Fremden ab. Das ist nicht wirklich angenehm, aber wenn man sich mal damit arrangiert hat, nimmt es einen auch nicht mehr sonderlich mit. Dazu gehören Fälle wie unsere » Premiere « , der Mann, der sich in einem alten Turm in Greding erhängt hatte und wochenlang unentdeckt geblieben war. Aber Dr. Müller-Cyran hatte uns ja nicht vorrangig wegen dieser Fälle um unsere Mitarbeit gebeten. Schon auch – aber vorrangig ging es ihm um ganz andere Einsätze. Die nächste Stufe waren die Selbstmorde.
    Auch Suizide sind für einen Feuerwehrmann und Rettungssanitäter nichts Neues. Bei unseren Wohnungsöffnungen finden wir Selbstmörder aller Arten und Gesellschaftsgruppen. Wir wissen so gut, wie sich Menschen umbringen – wir könnten ein eigenes Beratungsbüro für angehende Selbstmörder eröffnen. Aber wir hatten bislang nie so viel mit den Angehörigen zu tun.
    Es ist eine Sache, ob man sieht, wie sich ein Mensch das Leben genommen hat, weil es für ihn offenbar unerträglich geworden war. Es ist eine ganz andere Sache, fünf bis acht Stunden mit den Menschen zu verbringen, die diesen Verlust spüren, die unter diesem Verlust leiden und mit den Folgen der Tat kämpfen. Oder sich womöglich auch gerade noch verzweifelt darum bemühen, überhaupt zu begreifen, was da vorgefallen ist.
    Im Kapitel » Kopfsachen 1« habe ich erzählt, wie eine Traumatisierung entsteht: durch das Gefühl, einer Art von
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