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Kein Fleisch macht gluecklich

Kein Fleisch macht gluecklich

Titel: Kein Fleisch macht gluecklich
Autoren: Andreas Grabolle
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Biogemüse war damals tatsächlich noch klein und verschrumpelt und das Brot bröselig oder gar im Blumentopf gebacken. Ein Jahr lang habe ich das so gehandhabt, immerhin ohne Putz- oder Thekendienste – auch das soll es gegeben haben.
    Das eigenartige Gefühl des Fremdseins in Bioläden trat bei mir noch Jahre später auf, auch in Reformhäusern, deren Daseinsgrund ich nie wirklich verstanden habe. Als Vegetarier war ich jedoch gezwungen, mir dort fluffige Tofuwürste zu kaufen, die zumindest aussahen wie Fleischwurst, sowie pflanzliche Brotaufstriche, die »Wie Leberwurst« hießen und bei denen selbst die kleinsten Verpackungen binnen weniger Tage den Kampf gegen den Schimmel verloren. Doch all das tat ich ja »für die Tiere«, zumindest die warmblütigen, die ich nicht mehr essen, sondern achten wollte.
    Gewissensbisse
    Mr und Mrs Rumpsteak sind gut gewesen, aber nicht so sensationell, wie ich es mir nach all den Jahren des Verzichts vorgestellt hatte. Wenigstens habe ich nach dieser Fleischmahlzeit kein schlechtes Gewissen – Steffi dagegen schon. Anscheinend wirkt durch unser Gespräch die Betäubung bei ihr nicht mehr so richtig, von der Melanie Joy spricht. Joy sagt, wir betäubten uns selbst, um beim Fleischverzehr eine gedankliche Kluft in unserem Bewusstsein aufrechterhalten zu können. In Interviews mit Fleischessern und Schlachtern hat sie immer wieder erfahren, dass die Menschen die Realität ausblenden müssen, wenn sie es beim Essen oder bei der Arbeit mit toten Tieren zu tun haben. Unser erlernter Karnismus blockiere geschickt das Mitgefühl für das Tier. Joy sieht darin Parallelen zu anderen ausbeuterischen Wertesystemen wie etwa Sexismus oder Kolonialismus, in denen eine »andere« Gruppe für die eigenen Interessen ausgenutzt wird. Dies geschieht, indem man der anderen Gruppe grundlegende Rechte abspricht, also Gemeinsamkeiten verleugnet und Unterschiede in der Intelligenz, Empfindungsfähigkeit oder dem Lebenswert unterstellt.
    Steffi findet die Frage, wann wir es für gerechtfertigt halten, Tiere zu töten, spannend und schrecklich zugleich. »Wenn ich bei einem Tiertransport diese Nasen rausschauen sehe, denke ich, jetzt müssen die für mein Schnitzel sterben. Dann esse ich auch erst mal ein, zwei Tage kein Fleisch. Und wenn man ehrlich zu sich ist, muss man sich eingestehen, dass man sein Schnitzel nicht isst, um satt zu werden, sondern weil es gut schmeckt.« Steffi ist sich im Moment nicht sicher, ob sie es für vertretbar hält, dass für ihren Genuss Tiere sterben. »Wenn ich etwas sehr gerne mache, etwa Fleisch essen«, überlegt sie, »muss ich es ja wohl für gerechtfertigt halten.« Vielleicht hat sie recht. Man handelt wie gewohnt, isst das, was einem schmeckt, und sucht bestenfalls danach eine Rechtfertigung für sein Tun. Und falls man nichts Überzeugendes findet, kann man die Zusammenhänge immer noch verdrängen. Das kennt auch Steffi. »Gans oder Ente ist ja meine Leibspeise an Weihnachten. Aber ich will nicht wissen, wie die lebend aussahen. Manche Leute suchen sich im Sommer schon ihre Weihnachtsgans aus. Die gehen auf einen Hof und sagen: ›Ach, machen Sie der eine rosa Schleife um, die nehm ich dann später.‹ Das könnte ich nicht. Wenn ich dann am Weihnachtstisch sitze und denke, wie niedlich die war, als die über den Hof gerannt ist, oh mein Gott!« Je mehr Steffi darüber nachdenkt, in desto mehr Gewissenskonflikte gerät sie. »Ich würde gern ein Steak genießen können, ohne dass dafür ein Tier getötet werden muss. Vor allem den Schweinen und Kühen gegenüber bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich sehe schon, nach diesem Abend werde ich auch Vegetarier.«
    Wurde sie nicht.

Mein eigen Fleisch und Wurst
    Steinzeitessen, Affen und Gehirnwachstum
    Ich hege keinen Zweifel darüber, dass es ein Schicksal des Menschengeschlechts ist, im Verlaufe seiner allmählichen Entwicklung das Essen von Tieren hinter sich zu lassen.
    Henry David Thoreau, US-amerikanischer Schriftsteller und Philosoph (1817–1862)
    Ich fühle mich um Jahrtausende in die Vergangenheit versetzt. Meine Tochter sitzt auf meinem Schoß, und wir stopfen rohes Fleisch in uns hinein, das ich mit dem Faustkeil aus einem größeren Stück heraustrenne. Der Faustkeil ist allerdings bloß ein Küchenmesser und das rohe Fleisch nur eine Räucherknacker vom Ökomarkt. Mindestens einmal die Woche will ich meiner Tochter Fleisch oder Wurst zu essen geben und esse dann etwas mit. Die enorme Gier, mit der
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