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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein
Autoren: Michael Connelly
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Los Angeles County dabei sein muss. Und dass ich dich schon ziemlich lange nicht mehr ohne einen Kameramann im Schlepptau an einem Tatort gesehen habe.«
    »Harry, das ist mein privater Kameramann, ja? Das Material, das er filmt, ist ausschließlich für die künftige Verwendung durch mich gedacht; darüber verfüge einzig und allein ich. Das kommt nicht in den Abendnachrichten.«
    »Na gut. Ich finde nur, wir sollten hier möglichst alle Komplikationen vermeiden. Es ist ein Kinderfall. Du weißt, wie die werden können.«
    »Komm einfach mit diesem Knochen her. Ich muss in einer Stunde weg.«
    Sie hängte abrupt auf.
    Bosch bereute, nicht diplomatischer gewesen zu sein, aber zugleich war er froh, Corazon seinen Standpunkt klar gemacht zu haben. Corazon war keine Unbekannte mehr und trat in Court TV und anderen Sendungen regelmäßig als forensische Expertin auf. Außerdem hatte sie es sich zur Angewohnheit gemacht, überallhin einen Kameramann mitzunehmen, um ihre Fälle später in einer der zahlreichen Polizei- und Justiz-Serien im breiten Programmangebot der Kabel- und Satellitensender als Fernsehdokumentationen verwerten zu können. Er durfte und wollte nicht zulassen, dass in einem Fall, in dem möglicherweise ein Kind ermordet worden war, ihre Interessen als prominente Gerichtsmedizinerin mit seinen Interessen als Ermittler in Konflikt gerieten.
    Er beschloss, erst dann bei den Special Services und den K-9-Einheiten der Polizei anzurufen, wenn er hinsichtlich des Knochens Gewissheit hatte. Er stand auf und verließ das Zimmer, um nach Guyot zu suchen.
    Der Arzt war in der Küche, wo er an einem kleinen Tisch saß und in ein Spiralheft schrieb. Er blickte zu Bosch auf.
    »Ich mache mir nur ein paar Notizen zu Ihrer Behandlung. Ich habe mir über jeden Patienten, den ich mal behandelt habe, Notizen gemacht.«
    Bosch nickte bloß, obwohl es ihm eigenartig vorkam, dass Guyot sich über ihn Notizen machte.
    »Ich muss jetzt los, Doktor. Wir kommen morgen wieder. Mit einem Riesenaufgebot, nehme ich mal an. Möglicherweise brauchen wir Ihren Hund noch mal. Werden Sie zu Hause sein?«
    »Ich werde hier sein und bin Ihnen gern behilflich. Was machen Ihre Rippen?«
    »Sie tun weh.«
    »Aber nur, wenn Sie atmen, oder? Das wird noch etwa eine Woche so bleiben.«
    »Vielen Dank für die gute ärztliche Versorgung. Diesen Schuhkarton wollen Sie nicht wieder zurückhaben, oder?«
    »Nein, jetzt möchte ich ihn nicht mehr haben.«
    Bosch wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal zu Guyot um.
    »Doktor, leben Sie allein hier?«
    »Inzwischen ja. Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Einen Monat vor unserem fünfzigsten Hochzeitstag.«
    »Mein Beileid.«
    Guyot nickte. »Meine Tochter hat oben in Seattle eine eigene Familie. Ich sehe sie bei besonderen Anlässen.«
    Fast hätte Bosch gefragt, warum nur bei besonderen Anlässen, tat es dann aber doch nicht. Er dankte dem Mann noch einmal und ging.
    Auf der Fahrt aus dem Canyon und zu Teresa Corazons Haus in Hancock Park behielt er ständig die Hand auf dem Schuhkarton, damit er nicht durchgeschüttelt würde oder vom Sitz rutschte. Er spürte, wie sich tiefes Unbehagen in ihm regte. Er wusste, es lag daran, dass es das Schicksal an diesem Tag nicht gerade gut mit ihm gemeint hatte. Er hatte die übelste Sorte Fall an Land gezogen, die man überhaupt an Land ziehen konnte. Einen Kinderfall.
    Kinderfälle ließen einen nicht mehr los. Sie höhlten einen aus und brachten einem Narben bei. Es gab keine kugelsichere Weste, die dick genug war, um zu verhindern, dass man durchbohrt wurde. Kinderfälle ließen einen mit dem Wissen zurück, dass die Welt voll von verlorenem Licht war.

4
    Teresa Corazon wohnte in einer Villa im mediterranen Stil mit einem gepflasterten Wendekreis samt Koi-Teich davor. Acht Jahre zuvor, als Bosch eine kurze Beziehung mit ihr gehabt hatte, hatte sie in einer Zwei-Zimmer-Eigentumswohnung gewohnt. Für das Haus und den dazu gehörigen Lebensstil kamen die Segnungen von Fernsehen und Berühmtheit auf. Sie war nicht mehr annähernd die Frau, die gegen Mitternacht mit einer Flasche billigem Rotwein von Trader Joe’s und einem Video ihres Lieblingsfilms unangemeldet bei ihm aufgetaucht war. Die Frau, die zwar hemmungslos ehrgeizig gewesen war, aber noch nicht geschickt genug, ihre berufliche Stellung zur persönlichen Bereicherung zu nutzen.
    Bosch wusste, dass er sie jetzt daran erinnerte, wer sie einmal gewesen war und was sie verloren hatte, um
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