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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein
Autoren: Michael Connelly
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all das zu bekommen, was sie jetzt hatte. Kein Wunder also, dass sie nur noch selten und sporadisch Kontakt miteinander hatten, und wenn sich eine Begegnung dennoch nicht vermeiden ließ, war sie so spannungsgeladen wie ein Zahnarztbesuch.
    Er parkte auf dem Wendekreis und stieg mit dem Schuhkarton und den Polaroidfotos aus. Als er um den Wagen herumging und in den Teich sah, konnte er die dunklen Umrisse der Fische erkennen, die unter der Wasseroberfläche schwammen. Lächelnd musste er an den Film Chinatown denken, und wie oft sie ihn sich in dem Jahr, in dem sie zusammen gewesen waren, angesehen hatten. Er erinnerte sich, wie gut ihr die Darstellung des Gerichtsmediziners gefallen hatte. Er trug bei der Obduktion einer Leiche eine schwarze Metzgerschürze und aß ein Sandwich. Bosch bezweifelte, dass sie die Dinge immer noch mit derselben Art von Humor betrachtete.
    Die Lampe, die über der massiven Holztür hing, ging an, und Corazon öffnete, bevor er die Tür erreichte. Sie trug eine schwarze Hose und eine cremefarbene Bluse. Wahrscheinlich wollte sie noch zu einer Neujahrsparty. Sie sah an ihm vorbei auf den Slickback, in dem er gekommen war.
    »Mach lieber schnell, bevor diese Kiste mein Pflaster mit Öl volltropft.«
    »Guten Abend auch, Teresa.«
    »Ist es das?«
    Sie deutete auf den Schuhkarton.
    »Das ist es.«
    Er reichte ihr die Polaroidfotos und machte sich daran, den Deckel der Schachtel abzunehmen. Sie hatte eindeutig nicht vor, ihn auf ein Glas Neujahrschampagner nach drinnen zu bitten.
    »Möchtest du es gleich hier machen?«
    »Ich habe nicht viel Zeit. Ich dachte, du würdest früher kommen. Welcher Trottel hat die denn aufgenommen?«
    »Ich.«
    »Anhand dieser Fotos lässt sich überhaupt nichts sagen. Hast du einen Handschuh?«
    Bosch zog einen Gummihandschuh aus seiner Jackentasche und gab ihn ihr. Er nahm die Fotos wieder an sich und steckte sie in die Innentasche seines Jacketts. Sie zog geübt den Handschuh an und griff in die offene Schachtel. Sie hob den Knochen hoch und hielt ihn ins Licht. Bosch schwieg. Er konnte ihr Parfum riechen. Wie gewohnt war es stark, ein Relikt aus der Zeit, als sie den größten Teil ihrer Zeit in Obduktionsräumen verbracht hatte.
    Nach einer Fünf-Sekunden-Begutachtung legte sie den Knochen in den Karton zurück.
    »Menschlich.«
    »Ganz sicher?«
    Sie bedachte Bosch mit einem bösen Blick, als sie den Handschuh auszog.
    »Es ist ein Humerus. Ein Oberarmknochen. Ich würde sagen, ein zehnjähriges Kind. Auch wenn du nicht mehr viel von meinen Fähigkeiten hältst, Harry, habe ich sie trotzdem noch.«
    Sie warf den Handschuh in den Karton auf den Knochen. Mit ihren verbalen Sticheleien konnte Bosch leben, aber was sie mit dem Handschuh machte, störte ihn – dass sie ihn so auf den Knochen des Kindes warf.
    Er langte in die Schachtel und nahm den Handschuh heraus. Ihm fiel etwas ein, und er hielt ihr den Handschuh wieder hin.
    »Der Mann, dessen Hund das gefunden hat, sagte, auf dem Knochen wäre eine Fraktur. Eine verheilte Fraktur. Möchtest du ihn dir noch mal ansehen, ob du vielleicht …«
    »Nein. Ich bin sowieso schon spät dran. Du musst im Moment sowieso nur wissen, dass er von einem Menschen ist. Das hast du jetzt mit Brief und Siegel. Näher untersucht wird der Knochen dann unter den entsprechenden Bedingungen in der Gerichtsmedizin. Aber jetzt muss ich wirklich los. Ich komme morgen früh vorbei.«
    Bosch sah sie lange an.
    »Klar, Teresa, und amüsier dich noch gut heute Abend.«
    Sie wandte den Blick ab und verschränkte die Arme über der Brust. Er machte vorsichtig den Deckel auf den Karton, nickte ihr zu und ging zu seinem Auto. Er hörte, wie die massive Tür hinter ihm zuging.
    Als er am Fischteich vorbeikam, musste er wieder an Chinatown denken und sprach leise den letzten Satz des Films vor sich hin.
    »Vergiss es, Jake, wir sind in Chinatown.«
    Er stieg in sein Auto, und als er nach Hause fuhr, hielt er den Schuhkarton auf dem Sitz neben sich die ganze Zeit mit der Hand fest.

5
    Bis um 9 Uhr am nächsten Morgen war das Ende der Wonderland Avenue ein Polizeilager. Und in seinem Mittelpunkt war Harry Bosch. Er dirigierte Teams von Streifenpolizei, K-9, Spurensicherung SID, gerichtsmedizinischem Institut und Special Services. Am Himmel kreiste ein Polizeihubschrauber, und ein Dutzend Kadetten von der Police Academy standen herum und warteten auf Anweisungen.
    Zuvor hatte die Lufteinheit bereits den Beifußstrauch, den Bosch mit gelbem
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