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Kaylee

Kaylee

Titel: Kaylee
Autoren: R Vincent
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ist –, und schmiege mich ganz eng an ihn ran.” Emma stand eine Stufe über mir und funkelte mich amüsiert an. „Und wenn er so richtig scharf ist, reiße ich seinen Hosenstall auf und schreie ganz laut los. Den schmeißen sie hochkant raus. Ach, was sage ich, vielleicht fliegt er sogar von der Schule!”
    „Oder sie rufen die Bullen.” Oben angelangt, betraten wir die Bettenabteilung. „Das würden sie doch nicht tun, oder?”
    Emma zuckte die Schultern. „Kommt drauf an, wer Aufsicht hat. Wenn es Tucker ist, die Trainerin, dann ist Toby geliefert. Sie reißt ihm die Eier ab, bevor er den Reißverschluss zumachen kann!”
    Nachdenklich strich ich mit der Hand über das mit schicken Kissen dekorierte Bett, das in der Ausstellung aufgebaut war. Ich wollte Toby blamieren, auf jeden Fall, und ich konnte es kaum erwarten, seinem Stolz einen Dämpfer zu versetzen. Aber so verlockend das alles auch klang, ihn verhaften zu lassen schien mir kaum die passende Strafe dafür, dass er mich eine Woche vor dem Ball hatte sitzen lassen. „Vielleicht sollten wir den letzten Teil noch mal überdenken.”
    „Es war deine Idee.” Emma schmollte.
    „Schon klar, aber …” Mitten im Satz spürte ich einen vertrauten Schmerz und griff mir an den Hals.
    Nein. Nicht schon wieder!
    Ich taumelte rückwärts gegen das Bett, als eine schreckliche Vorahnung mir den Atem raubte. Sprachloses Entsetzen, gefolgt von dunklem Schmerz. Von einer Trauer, die ich weder verstehen noch einordnen konnte.
    „Kaylee? Ist alles in Ordnung?” Emma stellte sich vor mich und schirmte mich vor den Blicken der anderen Kunden ab. „Geht es schon wieder los?”, fragte sie, leiser diesmal.
    Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande. Mein Hals war wie zugeschnürt. Brennend heiß. In meinem Magen schien sich eine Faust zu ballen und durch meinen Hals nach oben zu quetschen. Es war ein schreckliches Gefühl. Gleich würde der Kampf wieder losgehen: ich gegen den Schrei, der aus meiner Kehle drängte.
    Einer von uns würde den Kampf verlieren.
    Ängstlich umklammerte Emma ihre Handtasche und schaute mich hilflos an. Ich sah wahrscheinlich nicht viel besser aus. „Sollen wir gehen?”
    Ich schüttelte den Kopf. „Zu spät”, flüsterte ich mit letzter Kraft.

2. KAPITEL
    Mein Hals brannte. Tränen stiegen mir in die Augen. Mein Kopf schmerzte vom Echo des Schreis, der aus mir hinauswollte. Wenn ich ihn nicht freiließ, würde er mich schlichtweg zerreißen.
    Nein, nein, nein! Das kann nicht sein. Es ist doch gar nichts zu sehen!
    Doch dann sah ich es – im Gang schräg gegenüber, zwischen Stapeln bunter Handtücher. Ein düsterer Schatten, ein Gespinst aus Finsternis. Wer ist es?
    Da waren schlichtweg zu viele Leute. Ich konnte nicht erkennen, wer in dieser Dunkelheit trieb, wen diese Schatten wie eine zweite Haut einhüllten.
    Und ich wollte es auch gar nicht sehen.
    Als ich die Augen zukniff, kam die gestaltlose, grenzenlose Angst näher. Schnürte mir die Luft ab. Im Dunkeln konnte ich mich gegen diesen bitteren Schmerz nicht wehren, also riss ich die Augen wieder auf, doch ohne Erfolg. Die Panik war diesmal einfach zu stark. Die Dunkelheit zu nahe. Nur ein paar Schritte nach links, und ich hätte sie berühren können. Meine Hand in das Nest aus Schatten senken können.
    „Kaylee?”
    Ich schüttelte stumm den Kopf. Wenn ich den Mund öffnete – sobald ich die Kiefer nur ein wenig entspannte –, würde der Schrei losbrechen. Es war mir unmöglich, Emma überhaupt nur anzusehen, weil ich den Blick nicht von den Schatten wenden konnte, die sich dort zusammenbrauten … um jemanden.
    Dann geriet Bewegung in die Menge. Sie teilte sich. Und ich konnte es sehen.
    Nein!
    Anfangs weigerte sich mein Verstand, das Gesehene zu verstehen. Weigerte sich, es zu akzeptieren. Aber dieser kurze Moment der Unwissenheit verging viel zu schnell.
    Es war ein Kind. Der Junge im Rollstuhl, den ich vorhin im Gastronomiebereich gesehen hatte. Seine dünnen Arme lagen schlaff im Schoß, und die Füße versanken fast in den hellblauen Turnschuhen. Das Gesicht war blass und aufgedunsen, die braunen Augen ohne Glanz. Und er hatte keine Haare mehr. Er war vollkommen kahl. Glatzköpfig!
    Das war einfach zu viel.
    Der Schrei explodierte förmlich und riss mir den Mund auf. Es fühlte sich an, als zöge jemand Stacheldraht aus meinen Hals und würde ihn mir durch die Ohren direkt in den Kopf stopfen.
    Alles um mich herum erstarrte. Die Leute rissen die Hände nach oben
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