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Kaylee

Kaylee

Titel: Kaylee
Autoren: R Vincent
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und wusste, dass ich hier nur rauskam, wenn ich keinen neuerlichen Schreianfall erlitt. Sie sagte das nur, um mich zu beruhigen, obwohl ihre Schmerzen mit jedem bisschen Angst, das sie mir abnahm, größer zu werden schienen – vielleicht bis hin zum Tod.
    Anfangs wehrte ich mich nicht. Sie machte einen so entschlossenen Eindruck und schien gute Gründe zu haben, ob ich sie nun nachvollziehen konnte oder nicht. Als die Schuldgefühle übermächtig wurden und ich die Finger aus ihrem Griff winden wollte, hielt Lydia mich so fest, dass es wehtat.
    „Er steht am Wendepunkt …”, flüsterte sie. Ich wusste immer noch nicht, wovon sie sprach. „Gleich kehrt es sich um. Wenn Tyler von seinen Schmerzen erlöst wird, werden deine anfangen.”
    Anfangen? Als wäre bisher alles nur heiter Sonnenschein gewesen.
    Bevor ich diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, erschlafften Lydias Hände, und die Spannung wich so plötzlich aus ihrem Körper wie die Luft aus einem zerplatzten Ballon. Sie lächelte mich an, scheinbar schmerzfrei, und für einen kurzen Moment dachte ich, es wäre vorbei.
    „Er ist tot”, sagte Lydia sanft.
    Da traf mich die Panik mit voller Wucht.
    Alles, was ich zuvor gefühlt hatte, war nur ein Vorgeschmack gewesen. Eine Art Trailer. Der Hauptfilm begann erst jetzt. So wie im Einkaufszentrum.
    Die Angst explodierte förmlich in meinem Bauch und versetzte meinen Körper in einen Schockzustand. Meine Lungen schmerzten. Mein Hals brannte. Tränen strömten mir die Wangen hinab. In meinem Kopf tobte der Schrei so laut, dass ich kaum klar denken konnte.
    Und diesmal konnte ich ihn nicht zurückhalten. Erst kam das Wimmern, stärker als je zuvor. Meine Kiefermuskeln, die sowieso schon wehtaten, konnten dem neuerlichen Druck nicht standhalten.
    „Gib es an mich weiter …” Lydia sah mich eindringlich an. Sie schien sich erholt zu haben. Wirkte stärker. Nicht mehr so blass. Aber wenn ich ihr noch mehr meiner Schmerzen aufbürdete, würde sie einen Rückfall erleiden. Und zwar einen heftigen.
    Zu diesem Zeitpunkt war ich zu keiner klaren Entscheidung mehr fähig. Ich wusste nicht, ob ich ihrer Aufforderung nachkommen sollte, geschweige denn, wie ich das anstellen sollte. Ich konnte mich nur auf den Schrei konzentrieren, der wie Starkstrom durch mich hindurchfloss, und darauf hoffen, dass er nicht ausbrach.
    Doch diesmal war es unmöglich. Das Wimmern wurde immer stärker. Es nahm an Intensität zu, bis ich daran zu ersticken glaubte. Es brachte meine Zähne zum Klappern, ich zitterte am ganzen Körper. Ich schaffte es nicht, ihn noch länger zurückhalten.
    Aber ich durfte ihn doch nicht rauslassen!
    „Es ist zu viel. Und es dauert zu lange.” Lydia stöhnte. Sie wirkte völlig verkrampft, als schmerze sie jede noch so kleine Bewegung. Ihr Gesicht war eine einzige Grimasse, und ihre Hände zitterten. „Es tut mir leid. Ich muss es übernehmen.”
    Was? Was meinte sie damit? Ganz offensichtlich hatte sie doch schon Schmerzen, warum wollte sie noch mehr? Ich riss meine Hand weg, doch Lydia ergriff sie just in dem Moment, in dem mein Mund aufflog. Es war zu spät.
    Der Schrei explodierte in meinem Hals, und mit ihm die Schmerzen. Es fühlte sich an, als würde ich Nägel erbrechen, aber kein Laut drang aus meinem Mund.
    Denn im selben Moment, in dem der Schrei losbrach – noch bevor ein einziger Ton zu hören war –, wurde er brutal in meinen Bauch zurückgerissen. Mein Mund klappte zu. Die Nägel kratzten den Hals wieder hinab. Der ungehörte Schrei peitschte hin und her, während er aus mir heraus- und in Lydia … hineingezogen wurde!
    Lydia verfiel in Zuckungen, aber ich konnte meine Finger nicht aus ihrem Griff befreien. Sie verdrehte die Augen so weit, dass nur noch das Weiße zu sehen war, und trotzdem umklammerte sie meine Hand und sog den Schrei bis zum letzten Rest aus mir heraus. Und die Schmerzen gleich mit.
    Meine Lungen taten nicht mehr weh, der Hals brannte nicht mehr, mein Kopf hörte auf zu pochen. Die überwältigende Trauer verschwand, genauso wie diese bodenlose Verzweiflung, die jeden anderen Gedanken verdrängte. Auch der graue Nebel war weg, er verblasste, während ich meine Hand zu befreien versuchte.
    Und plötzlich war es vorbei. Lydia löste ihren Griff. Sie schloss die Augen. Kippte von Krämpfen geschüttelt nach hinten, ohne dass ich es verhindern konnte, und schlug dabei mit dem Kopf auf dem Fußteil des Bettes auf. Ich schob ihr ein Kissen unter den Kopf, doch ihre Nase
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