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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute
Autoren: Jan Korssdorff
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der vielen gestrichenen Flüge überfüllt. Alle Abteile waren voll besetzt, und der Schaffner wies die Leute an, die Klappsitze am Gang zu nutzen oder eben zu stehen, bis am nächsten Bahnhof Plätze frei wurden. Einer der Männer drückte dem Rumänen einen Hundert-Lei-Schein in die Hand und bat ihn um seine Intervention. Der Schaffner jammerte, dass er doch nichts tun könne, bis ihm aber doch noch eine Möglichkeit einfiel. Er eilte den Gang hinunter zum letzten Abteil und klopfte an die Tür. Die Männer hatten natürlich auch dort ihr Glück versucht, aber die Vorhänge waren zugezogen, das Schild
Ocupat
hing an der Schnalle und die Türen schien versperrt zu sein. Der Schaffner rief etwas durch die Tür und ein paar Sekunden später wurde ihm geöffnet. Er unterhielt sich mit einem Insassen des Abteils. Schließlich kam er zurück und teilte den Männern mit, drei dürften in das Abteil am Ende des Ganges. Die Männer schlugen dem Schaffner begeistert auf die Schultern und beeilten sich, mit ihren Koffern in das neu geöffnete Abteil zu kommen.
    Der Mann im Abteil begrüßte die Herren, die ihm ebenfalls alle unbekannt waren, und bat sie, es sich bequem zu machen. Es herrschte allgemeine Überraschung darüber, dass sie alle vier deutschsprachig waren. Der Mann, der das Abteil reserviert hatte, erklärte, er reise gerne für sich, auch wenn das bedeute, mehrere Plätze zu reservieren, aber angesichts einer Notsituation wie an diesem Tag gäbe er gerne seine Privatsphäre auf.
    Der Zug setzte Fahrt an, und die Männer, die inzwischen ihr Gepäck verstaut und Platz genommen hatten, stellten sich einander vor. Der Mann, der den Schaffner bestochen hatte, war Stefan Helby, ein Schweizer Geschäftsmann und Unternehmer, der in Sibiu den Fortschritt eines Bauprojektes kontrolliert hatte. Immer noch war die Stadt ein Anziehungspunkt für internationale Investoren, und Helby vertrat die Interessen eines mächtigen Konsortiums. Allerdings entpuppte sich das Projekt mehr und mehr als Desaster. Die Kosten überstiegen alle Schätzungen, dennoch lag man weit im Zeitplan zurück. Offensichtlich bereicherten sich die Baufirma und ihre Partner völlig gewissenlos, und Helby hatte bei diesem Besuch endlich Klartext gesprochen, ja gedroht, und einen Finanzierungsstopp in Aussicht gestellt. Es galt, wieder zu einer Position der Stärke zu finden.
    Ihm gegenüber saß ein junger blonder Deutscher im Anzug, der sich den Männern als Quintus Danesita vorstellte. Er bemühte sich, einen gewinnenden Eindruck zu hinterlassen, sein Selbstbewusstsein war jedoch an einem Tiefpunkt. Gerade hatte er sich bei einer schwäbischen Firma, die ihre Produktion von Sensoren nach Sibiu ausgelagert hatte, für den Vertrieb beworben. Ein anderer hatte – trotz eines gewöhnlichen Namens und Auftretens – die Stelle bekommen.
    Der Mann, der das ganze Abteil reserviert hatte, nannte nun ebenfalls seinen Namen, jedoch ratterte der Zug gerade über eine Weiche, und keiner der Männer konnte ihn verstehen. Unabhängig voneinander wurde der Mann für sie zu
Herr X
, da er einen Norwegerpulli trug, auf dem der Buchstabe groß über die Brust gestrickt war. Er sagte nicht, was er beruflich machte oder wieso er unterwegs war. Er hätte den Männern aber auch schwer erzählen können, das er einen jungen Mann in einem kleinen Dorf in der Nähe von Sibiu besucht hatte, dessen besondere Missbildung Herrn X dermaßen reizte, dass er bereit war, der Familie das ganze Jahr über finanziell unter die Arme zu greifen, um einige Stunden alleine mit dem Jungen zu verbringen.
    Der letzte Mann war ein gewisser Konrad-Maria Fuchs. Er war ein Historiker, der seine Universitätsprofessur verloren hatte und seitdem als Vortragender herumreiste. Er hätte einigermaßen gut von seinen Engagements leben können, allerdings neigte er dazu, sich in Frauen zu verlieben, die halb so alt waren wie er. Um sie zu bekommen, riskierte er viel: sein Vermögen, seinen Ruf, seine Glaubwürdigkeit. Eben war er dieser deutsch-rumänischen Studentin, die er bei einem Vortrag in Köln kennengelernt hatte, bis in ihre Heimatstadt nachgereist. Er hatte ihr Geschenke gemacht, sie in die Suite des besten Hotels am Platz eingeladen, aber alles war vergeblich. Seine Avancen waren ihr lästig, und zuletzt eskalierte es. Wann hatte man ihn zuletzt angespuckt, es musste über ein Jahr her sein.
    Die Männer begannen sich über das Land auszutauschen, ihre Erfahrungen mit Verkehr, Gastronomie und
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