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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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Tempeln auf den Felsvorsprüngen orientiert haben. Piräus, Karthago, Kuakas. All diese Stadtstaaten an den Küsten der Ägäis, Einlasspforten für Stämme, die aus Wüstenregionen dorthin gewandert oder an Land geschwommen waren, wenn Sturmwinde ihre Schiffe zum Kentern gebracht hatten. Asuntha entfernt sich. Wochenlang hat sie die Rolle eines Menschen gespielt, der sich vor dem Wasser fürchtet. Und nun gibt ihre unterdrückte Jugend ihr Kraft. Sie schwimmt auf das Land zu, das sie verstecken wird, bis man sie finden wird. Und so ist das Ziel, auf das sie zuschwimmt, vorläufig einfach ein Irgendwo , eine jener alten Städte, die einst entstanden, weil sie an einem Flussdelta oder an einer Stelle mit erkennbaren Gezeiten lagen, wo sie ein neues Leben beginnen kann. Wie auch wir es tun können, wenn wir selbst an Land gehen.
    Niemeyer taucht wieder auf, um Luft zu schöpfen, und in der Dunkelheit hört er im Nachtwind, in welche Richtung sie schwimmt. Weit weg sieht er die Oronsay , funkelnd wie eine lange Brosche, auf dem Weg nach Gibraltar. Dann versinkt er wieder, noch nicht von dem Schloss befreit, dessen kleines, enges Schlüsselloch für den Schlüssel schwer zu finden ist in dem dunklen Wasser und in dem nachhallenden Dröhnen der Motoren des davonfahrenden Ozeandampfers.

Brief an Cassius
    FAST MEIN GANZES LEBEN ÜBER WUSSTE ICH , dass ich Cassius nichts geben konnte, was ihm etwas genützt hätte. Und in all den Jahren habe ich nie ernsthaft erwogen, Kontakt zu ihm zu suchen. Ein Aspekt unserer Beziehung hat sich während der einundzwanzig Tage unserer Reise erfüllt. Es verlangte mich nicht danach (abgesehen von leiser Neugier), mehr über ihn zu erfahren. Cassius als Schablone war makellos, wenigstens soweit es mich betraf. Schon damals wusste ich, dass er ein unabhängiger Mensch sein würde, auf niemanden angewiesen. Seine einzige Hinwendung nach außen, abgesehen von unserer Kameradschaft, und die war ganz offenkundig nur vorübergehender Natur, war das Mitgefühl, das er dem Mädchen entgegenbrachte. Und als Asuntha im Meer versank, sah ich, wie mein Freund sich zurückzog, als hätte eine Erkenntnis aus der Welt der Erwachsenen ihn verbrannt.
    Ein Künstler mit verbrannten Händen. Wie sah sein Leben danach aus? Die letzten Jahre seiner Jugend müssen eine Zeit gewesen sein, in der er sich auf niemanden verlassen und an nichts glauben konnte. Es ist leicht, als Erwachsener so zu sein, wenn man sich allein durchschlagen kann. Aber ich vermute, dass Cassius in jener Nacht auf dem Schiff den Rest seiner Kindheit verloren hat. Ich weiß noch, wie er ewig lange dort stand, nicht neben uns, und die dunkelblau schimmernden Wellen mit dem Blick absuchte.
    Ich weiß, dass ich ohne all das, was ich Ramadhins stiller Freundlichkeit verdanke, nicht in der Lage wäre, nun auf Cassius zuzugehen. Er ist ein kampflustiger Geist in der Kunstszene geworden. Spöttisch und schnippisch. Aber das hat nichts zu bedeuten. Er war zwölf Jahre alt und hatte es auf sich genommen, mit der Barmherzigkeit eines Kindes einen anderen Menschen zu beschützen. Trotz seiner fast angeborenen Neigung zur Anarchie hatte er versucht, sich um das Mädchen zu kümmern. Sonderbar. Er wollte Niemeyers Tochter beschützen, wie Ramadhin Heather Cave beschützen wollte. Woran lag es, dass wir alle drei den Drang verspürten, andere zu beschützen, die offenbar gefährdeter waren als wir?
    Zuerst dachte ich, wenn ich einen Titel wie Die Fahrt der Mynah hätte, könnte ich ihn erreichen, wo er auch sein mochte. Denn meinen wahren Namen würde er nicht erkennen. Wenn ich Miss Lasqueti mit meinem Spitznamen in ihrem gegenwärtigen Zuhause erreicht hatte, dann könnte ich auch ihn erreichen. Ich weiß nicht, ob Cassius liest oder ob er das Lesen verabscheut. Wie auch immer, dieser Bericht ist für ihn bestimmt. Für den anderen Freund meiner Jugend.

Ankunft
    WIR SCHLÜPFTEN IM DUNKELN nach England hinein. Nach all unserer Zeit auf See konnten wir unsere Ankunft in diesem Land nicht miterleben. Nur ein Lotsenschiff wartete mit blinkendem blauen Licht an der Themsemündung und geleitete uns an einem dunklen unbekannten Ufer entlang in den Fluss.
    Auf einmal roch es nach Land. Als schließlich die Morgendämmerung unsere Umgebung erhellte, wirkte alles sehr bescheiden. Wir sahen weder grüne Ufer noch sagenhafte Städte oder große, weitgespannte Brücken, die ihre Bögen öffneten, um uns Durchfahrt zu gewähren. Alles, woran wir vorbeifuhren, sah
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