Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Asuntha, und Sunil waren in der Nähe. Sie wollten mich beschützen …«
    »Dann hatten sie das Messer? Haben sie es dir gegeben?«
    »Ich weiß es nicht. Darum geht es doch. Ich weiß einfach nicht, was genau passiert ist. Grässlich, nicht wahr?« sagte sie. Sie hob das Kinn.
    Ich wartete, dass sie weitersprach.
    »Mir ist kalt. Lass uns reingehen.«
    Doch als wir im Haus waren, wirkte sie ängstlich.
    »Was solltest du für sie von dem Mann holen, der umgebracht wurde? Von Perera.«
    Sie erhob sich vom Sofa und ging zum Kühlschrank, öffnete ihn, blieb einen Augenblick davor stehen und kam zurück, ohne etwas mitzubringen. Ich merkte, dass sie ein Nervenbündel war.
    »Allem Anschein nach gab es auf dem Schiff nur zwei Schlüssel für das Vorhängeschloss an der Kette des Gefangenen. Den einen hatte der englische Offizier, Mr. Giggs. Den anderen hatte Mr. Perera. Sunil vermutete, der Mann, der Perera war, sei an mir interessiert, und deshalb schlug er mir vor, ich solle mich mit ihm an dem Rettungsboot verabreden. Sunil wusste natürlich längst, dass ich ihm nichts abschlagen würde. Ich war wie Wachs in seinen Händen. Ich nehme an, dass ich als Köder benutzt wurde.«
    »Und wer war es? Ich dachte, niemand hätte gewusst, wer der Undercoveragent war, der sich inkognito auf dem Schiff befand.«
    »Es war jemand, der nie ein Wort mit jemand anders gewechselt hat. Es war der Schneider an eurem Katzentisch, Gunesekera.«
    »Aber er hat nie etwas gesagt. Er konnte nicht sprechen. Und ich hörte, wie ein Mann mit dir vor dem Rettungsboot sprach.«
    »Irgendwie hat Sunil herausbekommen, dass er der Undercoveragent war. Er hat mitbekommen, wie er mit dem englischen Polizisten gesprochen hat. Er konnte also doch sprechen.«
    Ich hatte gedacht, ich könnte Sie retten , hatte Miss Lasqueti in ihrem Brief an mich geschrieben. Aber ich hatte Emily mit dem Mann von der Jankla-Truppe überrascht. Sie war in sein Vorhaben verwickelt, in etwas Unheilvolles und Gefährliches.
    Im Verlauf der Jahre erhalten verwirrende Einzelheiten, lose Enden von Geschichten einen eindeutigeren Sinn, wenn man sie in neuem Licht sieht, an anderer Stelle. Ich erinnerte mich daran, dass Mr. Nevil erzählt hatte, wie die Überreste abgewrackter Dampfer auf den Schrottplätzen in den Häfen in ihre Einzelbestandteile zerlegt wurden, um neuen Funktionen und Zwecken zugeführt zu werden. Und ich war auf einmal nicht mehr bei Emily auf Bowen Island, sondern in die Geschehnisse der Vergangenheit zurückversetzt und versuchte mich an den Nachmittag zu erinnern, als meine Cousine bei den Kunststücken einer Zirkustruppe mitgemacht hatte und ihr ein Armband angelegt worden war, das die Haut an ihrem Handgelenk verletzt hatte. Ich erinnerte mich auch an den stummen Mann mit dem roten Schal um den Hals, den Mann, den wir für einen Schneider hielten, und daran, dass wir ihn während der letzten Tage der Reise nicht mehr am Katzentisch gesehen hatten.
    »Weißt du, woran ich mich in Zusammenhang mit Mr. Gunesekera erinnere?« sagte ich. »Ich erinnere mich, wie nett er war. An dem Tag, an dem du die blaue Stelle neben dem Auge hattest und zu uns an den Tisch kamst – du hast gesagt, ein Badmintonschläger hätte dich gestreift. Und er hat die Stelle berührt. Vielleicht konnte er sich denken, wie du verletzt worden warst, dass es gar kein Unfall gewesen war, sondern mit Absicht von jemandem getan worden war, vielleicht Sunil, der von dir verlangt hat, etwas für ihn zu tun. Du hast gedacht, Gunesekera wäre an dir interessiert, aber vielleicht hat er sich nur Sorgen um dich gemacht.«
    »In der Nacht bei dem Rettungsboot – ich kann mich nicht genau erinnern –, ich glaube, er hat sich mir genähert, hat meine Hand gepackt. Er wirkte gefährlich. Und plötzlich sind Sunil und Asuntha dazugekommen … Lass uns aufhören. Bitte, Michael. Ich kann das nicht aushalten. Okay?«
    »Vielleicht wollte er dir gar nichts tun. Ich glaube, er wollte nur nach dem Schnitt an deinem Handgelenk sehen. Er hat sicher gesehen, wie Sunil dir das Armband nach der Pyramidennummer angelegt hat und dabei deine Haut geritzt und hinterher etwas auf die Stelle aufgetragen hat. In Wirklichkeit war er derjenige, der dich beschützt hat. Und er wurde umgebracht.«
    Emily sagte kein Wort.
    »Als ich dich am nächsten Morgen nicht wach bekam, habe ich dich geschüttelt, und du hast gesagt, dir sei schlecht. Vielleicht haben sie etwas aus Mr. Daniels’ Garten genommen und dich damit