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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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konnte, was man tun durfte und was nicht. Es gab sogar ein Schild, das besagte, Clowns seien auf dem Schiff nicht erlaubt, offenbar die Folge eines Zwischenfalls vor einigen Monaten. Die Fähre fuhr in den Kanal, und ich blieb oben, von den Winden gezaust, und blickte zu Bowen Island. Es war eine kurze Überfahrt. Nach zwanzig Minuten legten wir an, und die Fußgänger gingen als erste von Bord. Ich fragte mich, wie Emily wohl aussehen würde. Ab und zu hatte ich von ihren Eskapaden gehört, denn sie hatte sich in ihren letzten zwei Schuljahren in London einem ziemlich wüsten Freundeskreis angeschlossen. Wir hatten uns in verschiedenen Welten bewegt, einander fern. Zum letztenmal hatten wir uns gesehen, als sie den Mann namens Desmond heiratete und ich mich bei dem Empfang betrunken hatte und nicht lange geblieben war.
    Als ich über die ausgefahrene Eisenrampe ging, sah ich niemanden, der mir bekannt vorkam. Sie war nicht gekommen, um mich abzuholen. Ich wartete, während die Autos von der Fähre fuhren. Fünf Minuten vergingen, und ich machte mich auf den Weg die Straße entlang.
    In dem kleinen Park auf der anderen Seite der Straße war eine Frau. Sie löste sich abrupt von dem Baum, an dem sie gelehnt hatte. Ich erkannte ihren Gang und ihre Gesten, als sie auf mich zuging. Emily lächelte.
    »Komm. Das Auto steht dort drüben. Willkommen in meinem Winkel im Wald. Ich liebe diese Worte. Als wäre es etwas Häusliches.« Sie versuchte, nicht verlegen zu wirken. Aber wir waren natürlich beide verlegen, und wir gingen schweigend zu ihrem Auto. Mir wurde klar, dass sie mich wahrscheinlich beobachtet hatte, als ich am Kai stand und nach ihr suchte, und sich vergewissert hatte, dass ich dem entsprach, was sie erwartete.
    Wir fuhren schnell los; nachdem wir die Stadt durchquert hatten, fuhr sie auf die Bankette und hielt an. Sie beugte sich zu mir und küsste mich.
    »Danke, dass du gekommen bist.«
    »Ein Uhr morgens! Rufst du immer um ein Uhr morgens an?«
    »Immer! Nein. Ich habe den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen. Ich habe in zehn Hotels angerufen, bis ich dein Hotel gefunden habe. Und da warst du gerade nicht da. Ich fürchtete, du würdest abreisen, bevor wir uns sehen könnten. Geht es dir gut?«
    »Ja. Ich habe Hunger. Und ich bin ziemlich überrascht.«
    »Wir können bei mir zu Hause essen. Ich habe etwas da.«
     
    Wir fuhren die Straße entlang und bogen auf einen engen Weg ab, der zum Wasser führte. Der Weg verlief bergab, und Emily bog auf einen noch schmaleren Weg ein, der Wanless Road hieß. Einen Namen hatte er eigentlich nicht verdient. Es gab vier oder fünf Häuschen mit Seeblick, und sie lenkte das Auto neben eines davon. Es sah abgelegen aus, obwohl der nächste Nachbar keine zwanzig Meter entfernt war. Innen wirkte das Häuschen noch kleiner als von außen, doch seine Veranda bot Ausblick auf Wasser und Unendlichkeit.
    Emily machte Sandwiches, öffnete zwei Dosen Bier und wies mich zu dem einzigen Sessel im Haus. Dann ließ sie sich auf das Sofa fallen. Und sofort redeten wir über unser Leben, über die Jahre mit ihrem Ehemann in Mittelamerika und dann in Südamerika. Sein Nomadenleben als Elektronikspezialist hatte zur Folge gehabt, dass sie alle paar Jahre neue Freunde finden mussten. Dann hatte sie ihn verlassen. Sie sagte, es sei eine lauwarme Ehe gewesen und sie habe sie aufgegeben, weil sie erkannt hatte, dass diese Ehe »als Haus zu kalt« war, als dass sie darin den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Seit der Trennung waren Jahre vergangen, und sie konnte gelassen und glaubwürdig über das Geschehene sprechen und malte mit den Händen die Situationen, die sie erlebt hatten, die Landschaften, in denen sie gelebt hatten, in die Luft. Es war, als erlaubte ihr meine entfernte Verbindung zu ihr, offen mit mir zu sprechen. Und indem sie sprach, entwarf sie für mich ein Bild ihres Lebens. Und dann schwieg sie, und wir sahen einander an.
    Ich erinnerte mich an Emily zur Zeit ihrer Hochzeit. Wie damals üblich galt die Hochzeit als Krönung, als Gipfel vereinten Wollens. Desmond sah gut aus, und Emily war eine gute Partie. Das galt damals als hervorragende Voraussetzung für eine Ehe. Irgendwann bevor ich den Empfang verließ, fiel mein Blick auf Emily. Sie lehnte an einer Tür und sah Desmond an. Ihr Blick war so distanziert, als wäre das, was sie tat, etwas, was sie unbedingt tun musste. Danach war sie sofort wieder im Partygetümmel verschwunden. Wer würde sich dieser wenigen
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