Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle
Autoren: Hildegunde Artmeier
Vom Netzwerk:
nicht nur die paar Kilos zuviel sondern auch die zusammengezogenen Augenbrauen ihrer Mutter, die sie während der Stunde immer genau beobachtet hatte. Selten hatten sich ihre Gesichtszüge entspannt und die Augenbrauen sich geglättet.
    Frustriert drückte Lilian auf die Fernbedienung. Aber das Programm war so nervtötend wie immer: eine Talksendung, eine ›Wie-gewinne-ich-meine-erste-Million-Show‹, wieder Werbung. Am besten, sie machte den Kasten gleich ganz aus und nie wieder an. Als das Telefon zu läuten anfing, empfand sie das als willkommene Abwechslung.

2
    Eine halbe Stunde später saß Lilian im Auto. Sie hätte zu Fuß gehen können, denn der Fundort der Leiche war ganz in der Nähe. Aber bei diesem matschigen, nasskalten Februarwetter nahm sie lieber den Wagen. Sie hatte Hannas Mutter angerufen, die bei organisatorischen Engpässen als Babysitter aushalf.
    Lilians Ziel war ein Mehrparteienhaus mit Eigentumswohnungen in der Nähe des REZ, dem Rennplatz-Einkaufszentrum in Regensburgs Westen. Als einziges sechsstöckiges Gebäude überragte es alle anderen Häuser. Es war in einem kräftigen Dunkelrot gestrichen. Im Dunkeln konnte man das zwar nicht erkennen, aber Lilian kannte die Gegend. Erst gestern Morgen war sie hier vorbei gejoggt. Da hatte es zu regnen angefangen, und sie hatte sich furchtbar geärgert, nicht doch die Jacke mit der Kapuze angezogen zu haben. Zu allem Überfluss war dann auch noch ein schwarzer BMW so knapp an ihr vorbei gefahren, dass der graue Schneematsch vom Straßenrand bis zu den Oberschenkeln an ihr hochgespritzt war.
    Lilian parkte auf einem Seitenstreifen hinter ein paar Mülltonnen. Genau, die Tonne – die musste sie noch rausstellen, wenn sie wieder nach Hause kam.
    Morgen war Ausleertag. Die Müllabfuhr tauchte immer ziemlich bald auf, da blieb ihr in der Früh keine Zeit mehr.
    Sie stieg aus, schlüpfte in einen der weißen Schutzanzüge aus Plastik, die sie immer im Kofferraum hatte, steckte Handschuhe und Schuhüberzüge ein und ging in Richtung Haus. Vor dem Eingang hatte sich eine kleine Menschenansammlung gebildet, dank Kranken- und Streifenwagen. Auf einmal stolperte Lilian. Im Licht der Straßenlaterne sah sie etwas auf dem Gehsteig liegen. Sie bückte sich. Es war eine weiße Kappe aus Plastik mit einem Schraubverschluss, mit einem Durchmesser von etwa drei Zentimetern, vielleicht ein Deckel für ein Duft- oder Medizinfläschchen. Sie roch daran. Nein, kein Parfum. Also Medizin – bei diesem miesen Wetter brauchte man ständig irgendwelche Mittelchen gegen alle möglichen Krankheitserreger. Im Weitergehen warf Lilian die Kappe in eine der Mülltonnen, aus der diese beim Aufstellen heraus gefallen sein musste.
    An der Eingangstür zeigte sie dem dort postierten Beamten ihren Ausweis. Die Wohnung war gleich die erste links im Erdgeschoss. Sie hätte sie gar nicht verfehlen können, denn die Tür stand weit offen. ›Lena Zolnay‹ stand auf dem Namensschild.
    In der Wohnung begegnete Lilian zuerst Peter Kuhnert. Er arbeitete beim Kriminaldauerdienst, einer speziellen Einrichtung der Regensburger Polizei, die an Sonn- und Feiertagen und unter der Woche nach Dienstschluss aktiv wurde. Wie immer sah er furchtbar müde aus. Da Lilian ihn auch von der privaten Seite kannte – an dem einen oder anderen Wochenende drehten sie eine gemeinsame Laufrunde an der Donau oder um den Baggersee hinterm Westbad – wusste sie, dass er seit einiger Zeit mit einem chronisch wiederkehrenden Magengeschwür zu kämpfen hatte. Vor drei Wochen war er ins Krankenhaus eingeliefert worden, wo man ihn stationär behandelt hatte. Er musste starke Medikamente nehmen, bestimmt hatte er noch Schmerzen. Lilian war ihm nicht böse, dass er sie um diese Uhrzeit angerufen hatte.
    »Tut mir Leid, Lilian, dass ich dich rausgeklingelt hab. Heut ist es wie verhext: Zwei Kollegen sind bei einem Suizid in Cham, zwei bei einem Totschlag in Neumarkt, einer ist krank …«
    »Und du sollst das hier ganz alleine machen. Ist schon okay, im Fernsehen läuft eh nichts. Wie geht’s dir sonst?«
    Er winkte ab – seine fahle Gesichtsfarbe sprach für sich – und führte sie in ein kleines Wohnzimmer. Ein Kollege von der Schutzpolizei betrachtete gerade eine Bronzestatue in einem Regal, wo sich Skulpturen aus Bronze, Holz und Marmor eng aneinander reihten. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Ungläubiges und gleichzeitig Wollüstiges an sich. Die Figur zeigte zwei nackte Frauentorsi, die sich innig umschlungen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher